Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 16. Juli 2011

Pfarrer Theo Freyer, Karlsruhe


Wochenspruch: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Gal. 6, 2)

Lukas 6, 36 – 42

Jesus ermahnte seine Jünger und die Leute die zu ihm gekommen waren und sprach: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.
Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.
Vergebt, so wird euch vergeben.
Gebt, so wird euch gegeben.
Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.
Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister.
Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!


Beide Texte, Wochenspruch und Sonntagsevangelium, haben das Gelingen unseres Lebens zum Thema und sind darum Texte, die für uns von existenzieller Bedeutung sind. Sie werfen Fragen zur Daseinsbewältigung auf, die letztlich so alt sind wie die Menschheitsgeschichte, und sie geben Antworten, die Jesus seiner Gemeinde zu allen Zeiten und an allen Orten gibt, – Antworten, die uns sagen wollen, wann und wie unser Leben gelingen kann, – gelingen wird.

Fragt man die Frau und den Mann auf der Straße, wann man von einem gelungenen Leben sprechen kann, dann wird die Antwort sinngemäß lauten: wenn ein Mensch glücklich ist. Fragt man dann weiter, was zum Glücklichsein hinzugehört, dann gibt es vermutlich ein ganzes Bündel von Antworten.

Der römische Redner und Satiriker Juvenal, der um das Jahr 100 n. Chr. gelebt hat, prangerte zu seiner Zeit den Regierungsstil der römischen Kaiser an. Die glaubten dem Volk Genüge zu tun und es bei Laune zu halten, wenn sie für „panem et circenses“, für Brot und Zirkusspiele, sprich Unterhaltung, sorgten.

Fällt uns da nicht sogleich die Geschichte von der Versuchung Jesu ein? Da ging es doch auch um nichts anderes: „Sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Mach das Volk satt, und „wirf dich hinab von der Zinne des Tempels“. Das Volk liebt Sensationen und wird dir Beifall klatschen.

Aber was reden wir von damals? Die Begehrlichkeiten des Volkes sind bis heute keine anderen geworden. Es verhält sich so, wie wir’s beim Prediger Salomo lesen: Es geschieht „nichts Neues unter der Sonne“. Auch heute geht es um Konsum, um Luxus, um Vergnügen. The show must go on! Die Programminhalte des Fernsehens richten sich längst nach den Einschaltquoten, und die wiederum sind vom Zeitgeschmack und den Interessen der Mehrzahl bestimmt. Die Show beginnt etwas verallgemeinernd gesagt 20.15 Uhr. Anspruchsvolleres kommt kurz vor Mitternacht, wenn Deutschland zu 90% schläft. „Brot und Spiele“ scheinen das Glück auf Erden zu garantieren.

Für das Bemühen, dieses Glück zu erjagen, gibt es einige weit verbreitete Spielregeln. Z.B. Wie du mir, so ich dir. – Jedem ist sein Hemd am nächsten. – Mir wird auch nichts geschenkt. Warum sollte ich mich dann um andere kümmern? – Jeder muss selber sehen, wie er sein Schäfchen ins Trockene bringt. – Der Umgang mit wem nützt mir? Und mit wem habe ich besser nichts zu tun? – Wie komme ich mit Vitamin B am besten durchs Leben?

Genug der Negativlisten. Was Jesus uns zum Thema gelingendes Leben zu sagen hat, hört sich anders an, und es fällt auf, dass bei allem, was er sagt, es nie um uns allein geht, sondern immer zugleich auch um unseren Nächsten:
Seid barmherzig! Richtet nicht! Verdammt nicht! Vergebt! Und Gebt!

Gelingendes Leben ist nur in der Gemeinschaft möglich. Und ohne Nächstenliebe misslingt alles. Wer allein glücklich werden will, wird bald unzufrieden und einsam sein. Eine weit verbreitete schmerzliche Erfahrung, – aber wer möchte schon klug werden?

Der Apostel Paulus hat das gemeinsame Leben so beschrieben: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Da könnte nun einer einwenden: Ich habe mein eigenes Päckchen zu tragen. Soll ich mich da auch noch um andere kümmern?  Gewiss jeder hat sein größeres oder kleineres Päckchen, das er schultern muss, und manche schleppen Zentnerlasten mit sich herum. Aber gerade darum brauchen wir uns gegenseitig, brauchen Mitmenschen, die uns helfen, dass unser Leben gelingen kann, und wir in unseren Tagen und auf unseren Wegen trotz aller Lasten – und wenn’s nur unter Tränen wäre – glücklich und geborgen sein können.

„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Das Gesetz Christi ist kein Paragraphenwerk, das zur Bürde wird. Es ist das Gesetz der Liebe Gottes und meint, dass wir die Liebe, die Gott uns durch Jesus Christus zusagen lässt, nun in unserem Alltag weiter schenken. Der unfreundliche Satz „Wie du mir, so ich dir.“ heißt für Menschen in der Nachfolge Jesu nun ganz anders, nämlich: „Wie Gott  mir, so ich dir!“

Wir brauchen einander als Seelsorgerinnen  und Seelsorger. Wir brauchen den Menschen, der es uns vor allem in Zeiten der Anfechtung unermüdlich und tröstend zuspricht: Du bist ein Kind Gottes. Glaube es! Gott liebt dich. Das macht den Wert deines Lebens aus. Gott weiß um alles, was dich belastet und dich traurig macht. Er ist ein barmherziger Gott, der dich nicht verurteilen, sondern deine Schuld um Jesu Christi willen vergeben will, und wenn er dir eine Last zumutet, gibt er auch die Kraft, sie zu tragen.

Solche seelsorgerlichen Dienste kann wohl aber nur jemand leisten, der um seine eigene Versuchlichkeit, um seine Schwachheit und seine Grenzen weiß. Nur wer erlebt hat und immer wieder erlebt, wie sehr er selbst von der Liebe Gottes getragen wird, wie sehr er täglich neu der Gnade und Barmherzigkeit Gottes bedarf, wird demütig genug sein, um anderen angefochtenen Mitmenschen zum Helfer und Wegbegleiter werden zu können.

Nicht ohne Grund spricht Jesus von dem Blinden, der unfähig ist, einem anderen Blinden den Weg zu zeigen. Von diesen blinden Blindenführern und –führerinnen gibt es leider viel zu viele, und wir alle müssen auf der Hut sein, dass nicht wir selbst zu solchen Scharlatanen werden. Es ist so leicht, über dem Splitter im Auge des Nächsten den Balken im eigenen Auge zu vergessen oder ihn wenigstens zu verharmlosen. Es kann so gefährlich beruhigend sein, Schwächen, Fehlverhalten und offenkundige Schuld bei einem Mitmenschen zu konstatieren, und selbstgefällig in den Gebetstenor zu verfallen: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute…“

Weil Jesus Christus gekommen ist, zu suchen und zu retten, die sich auf den Irrwegen dieser Welt herumtreiben und den falschen Parolen ihrer Zeit zum Opfer gefallen sind, mahnt er so eindringlich: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist… Richtet nicht… Verdammt nicht… Vergebt und gebt nach dem Maß der Liebe.“

Und man könnte es als Goldene Regel für das gemeinsame Leben der Christen in der Welt bezeichnen, was Paulus den Galatern ins Stammbuch schrieb: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“

Ein Wort, das schon unzähligen Brautpaaren als Trautext mit auf den gemeinsamen Weg gegeben wurde, – ein Wort, das ihnen den Weg zum Glücklichsein zeigen sollte. Auch ich habe diesen Satz des Paulus immer wieder einmal als Trautext ausgewählt und dazu in der Traupredigt manches Mal einen Satz aus dem Ehezuchtbüchlein von Hermann Oeser nicht nur zitiert, sondern damit auch für einen Augenblick schockiert. Hermann Oeser schrieb nämlich: „Wer glücklich werden will, – soll nicht heiraten.“ – Schrecksekunde, überraschte, fragende Gesichter blicken mich an, Denkpause – Doch dann fährt Oeser fort: „Glücklich machen, da liegt es!“

„Einer trage des andern Last!“ – „Glücklich machen, da liegt es!“ So gelingt auch unser Leben und wird zum Segen für Menschen, mit denen wir auf dem Wege sind und mit denen wir das Glück der Kinder Gottes erleben dürfen.
Amen.

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