Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 23. Juli 2011

Pfarrer Theo Freyer, Karlsruhe


Liedpredigt zu EG Nr. 503 „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“


An diesem Wochenende mitten im Sommer will ich mit Ihnen über das Sommerlied von Paul Gerhardt, das allerdings sehr viel mehr als ein Sommer–Lied ist, nachdenken.
Als Leitgedanken sollen zwei Bibelworte über dieser Liedpredigt stehen.

Psalm 104, 24 + 33:
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!
Du hast sie alle weise geordnet,
und die Erde ist voll deiner Güter…
(Darum) will ich dem Herrn singen mein Leben lang
und meinen Gott loben, solange ich bin.

Genesis 2, 15:
Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Diese und ähnliche Bibelworte mögen Paul Gerhardt durch den Kopf gegangen sein, wenn er einst durch die Sommerlandschaft ging. Da sah er nicht nur vordergründig die Natur in all ihrer Schönheit, ihrer Farbenpracht und ihrem Reichtum, sondern er wusste sich bei all dem von Gottes Schöpfung umgeben. Die Erde war für ihn das große Bilderbuch der Werke Gottes, das kostbare Geschenk seiner Liebe und Fürsorge. Darum war die Begegnung mit der Natur für ihn nicht nur ein emotionales Erlebnis, sondern darüber hinaus eine Glaubenserfahrung.

Es war um das Jahr 1650, als dieses Lied entstand. Eben erst hatte der furchtbare Dreißigjährige Krieg ein Ende gefunden. Paul Gerhardt lebte damals als Pfarrer an der St. Nikolaikirche in Berlin. Nur rund 6000 Menschen hatten in der Stadt die Kriegswirren überlebt. Doch nun sorgte Kurfürst Friedrich Wilhelm, der zu Recht den Beinamen „Der Große“ bekam, mit außergewöhnlicher Tatkraft dafür, dass die Wunden des Krieges geheilt und die Spuren der Zerstörung beseitigt wurden. Berlin und das Land Brandenburg erlebten in jenen Tagen eine Zeit des Wiederaufbaus. Neue Häuser wurden errichtet, Weinstöcke und Obstbäume als Spalier an den Wänden hochgezogen und Gärten angepflanzt. Und der Kurfürst ließ einen großen herrlichen Park anlegen, in dem die Tulpen und Narzissen blühten und die Rosen ihren Duft verströmten.

Da war es nach endlos langen Jahren der Zerstörung und des Blutvergießens für Paul Gerhardt ein beglückendes und tröstliches Erlebnis, durch die Umgebung des Berlins jener Tage zu wandern, die Schönheit eines friedlichen Frühlings und Sommers vor Augen. In all dem sah er die Gaben Gottes für sich und seine leidgeprüften Mitbürger und Gemeindeglieder. Bäume, Wiesen und Blumen, Lerche und Taube und das Lied der Nachtigall, die Glucke mit ihren Küchlein, Storch und Schwalbe, Hirsch und Reh, – sie alle weckten in seinem Herzen eine unbändige Freude an der Schöpfung und drängten ihn, Gott, den Schöpfer und Geber aller guten Gaben zu loben, und so dichtete er die Verse, die wir eben zum Teil miteinander gesungen haben, freute sich, dass Hirten mit ihren Schafen wieder im Frieden über die Wiesen ziehen konnten, und dass nach Hungerjahren auf den Feldern das Getreide wieder zur Ernte heranreifte, und dann erreichte sein Lobpreis des Schöpfers im achten Vers seinen Höhepunkt:

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Auch wir erleben in diesen Wochen wieder die Sommerzeit, – Zeit der Ernte und Ferienzeit.
In Gärten und auf den Feldern, bei Spaziergängen und Wanderungen, auf Fahrten und Urlaubsreisen begegnen wir dem Reichtum der Natur. Da kann es zur Wohltat für den inneren und äußeren Menschen werden, wenn wir oft so flüchtig und gehetzt dahinlebenden Menschen uns von Paul Gerhardt bei der Hand nehmen lassen und ihm zuhören, wenn er sagt:
„Seht, das alles ist Gottes Schöpfung, – für euch bereitet, – euch anvertraut. Habt offene Augen für so viel Schönheit und so großen Reichtum. Nehmt das nicht selbstverständlich. Verlernt nicht das Staunen, und vergesst nicht das Danken. Vielleicht werden beim bewussten Wahrnehmen der Wunderwerke Gottes eure Sorgen und Ängstlichkeiten etwas kleiner.“ –

Doch ich sagte schon, dieses Lied ist mehr als ein Sommerlied. Wenn Paul Gerhardt vorbei an Gärten, Wiesen und Feldern spazieren ging und sich an all dem, was da wuchs, blühte und reifte, freuen konnte, dann wurde die Schöpfung Gottes für ihn sogar zum Fenster, durch das er vorausblickte auf Gottes Reich, und sein Gespräch mit dem Schöpfer führte über diese Erdenzeit hinaus:

Ach, denk ich, bist du hier so schön
und lässt du’s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erde:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!

Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen.

O wär ich da, o stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis’
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

Derart also wuchs die Freude an Gottes Schöpfung in Paul Gerhardt über sich hinaus und wurde zur frohen, erwartungsvollen Hoffnung auf Gottes Reich.

Das könnte uns allerdings auch stutzig machen. Denn klang da nicht so etwas wie Weltflucht mit an? War der Pfarrer und Dichter nach bangen Kriegsjahren im Grunde seines Herzens letztendlich doch lebensmüde geworden? Wer hätte es ihm verargen dürfen? Aber nein, schon der nächste Vers zeigt, wie Paul Gerhardt dem Leben zugewandt blieb und bereit war, hier zu leben und zu wirken und Gottes Wort weiterzusagen, solange es ihm aufgetragen war:

Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.

Wenn er am Fenster seiner Studierstube stand und auf die Häuser und die Menschen in den Straßen sah, dann wusste er, dass er hier mit seiner ganzen Kraft gefordert war. Harten Menschenschicksalen war er in den vielen seelsorgerlichen Gesprächen mit seinen Gemeindegliedern begegnet. Um die Probleme und Nöte seiner Zeit wusste er nur zu gut. Da genügte es nicht, sich nur an Gottes Schöpfung zu erfreuen. Da musste der Glaube der Christenmenschen sich bewähren und im alltäglichen Leben Früchte hervorbringen, so wie es in der Natur geschah. Darum war es nur folgerichtig, dass Paul Gerhardt in seinem Lied nun um ein gesegnetes, an Früchten reiches Leben bat.

Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.

Paul Gerhardt, ganz seiner damaligen Gegenwart zugewandt, den Mitmenschen verbunden, wissend um all das Nachkriegsleid, die Trauer um die Toten, die Armut nach dem Verlust von Hab und Gut – würde er wohl auch für uns Worte finden, oder würde es ihm die Sprache verschlagen, wenn er heute noch einmal in sein nicht wieder zu erkennendes Berlin zurückkehren könnte: das Nikolaiviertel rund um seine Kirche nur ein kleiner Teil der Millionenstadt voller Abgase, mit sterbenden Bäumen, dahineilenden Menschen, Kiosken mit Tageszeitungen voller schlechter Nachrichten aus aller Welt? Gewiss würde er sich zunächst erschrocken und wortlos umschauen, um schließlich besorgt oder gar entsetzt zu fragen: ‚Was habt ihr aus Gottes Schöpfung gemacht? Sie ist euch nicht überlassen, um sie auszubeuten. Gott gab sie euch, damit ihr sie in guter Weise bebaut und bewahrt!’

Ein Zeitgenosse hat angesichts unserer Umweltprobleme und unseres Lebensstils eine Art Parodie zu Paul Gerhardts Sommerlied geschrieben, – nicht leichtfertig, sondern in Sorge um unseren Lebensraum. Seinen Versen gab er die Überschrift: „Lied von der bedrohten Schöpfung“. Ich zitiere daraus:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud,
denn du hast nicht mehr lange Zeit,
dich an Natur zu laben.
Schau an der schönen Gärten Zier,
solange Blume, Baum und Tier
noch Raum zum Leben haben.

Die Bäume stehen voller Laub,
doch die Chemie senkt ihren Staub
herab auf Wald und Weide.
Narzissus und die Tulipan,
die weichen heut der Autobahn.
Im Abgas wächst Getreide.

Die Glucke führt ihr Völklein aus,
sofern sie nicht, bestimmt zum Schmaus,
nach dumpfer Mast verendet…

Die Bächlein rauschen in dem Sand
mit reduziertem Fischbestand
infolge Abfallstauung…

Die unverdrossne Bienenschar
findet bei uns von Jahr zu Jahr
mehr giftbesprühte Blüten…

und so weiter und so fort. Die Bestandsaufnahme eines Zeitgenossen, – nicht zynisch, sondern – wie schon gesagt – in großer Sorge um unseren und unserer Kinder Lebensraum.

Ich denke, er ist wie wir dankbar für alle Fortschritte und alle Erleichterungen, die wir Wissenschaft und Technik und nicht zuletzt der Chemie verdanken, gerade auch im Bereich der Pharmazie. Er wird auch ein Auto in der Garage haben und froh sein, wenn er bei weiteren Strecken die Autobahn benützen kann.

Doch zugleich sieht er die kranken Bäume und die verschmutzten Gewässer. Beim Atmen spürt er die belastete Luft. Er weiß um die vom Aussterben bedrohten Tierarten, um Pestizide und das Ozonloch, und ihm ist bewusst, dass es eigentlich so nicht weitergehen kann, dass wir alle für unsere Um– und Mitwelt dringend etwas tun müssen, und auf der Suche nach rechten Wegen zu einer verantwortlichen Lebensweise, fern aller Resignation dichtete er seinen Schlussvers, in dem ich etwas vom Geist Paul Gerhardts zu erkennen meine:

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
denn jeder muss das Seine tun,
so groß sind die Gefahren.
Ich singe mit, wenn alles singt,
voll Hoffnung, dass es uns gelingt,
die Schöpfung zu bewahren.

Diesen Worten hätte der alte Berliner Pfarrer zugestimmt. Wäre er unser Zeitgenosse, dann würde er uns nicht mit einer Gesellschaftsschelte überziehen, und er hätte keine Patentrezepte für die Probleme unserer Zeit. Aber das würde er uns einschärfen:

Wo Gottes Schöpfung auf dem Spiel steht, dürfen Christen nicht tatenlos zusehen und gedankenlos in den Tag hinein leben. Allen voran müssen sie um einen schöpfungsgemäßen Lebensstil bemüht sein, müssen umdenken, da und dort verzichten lernen und helfen, die Gaben Gottes gerecht zu verteilen.

Paul Gerhardt als unser Zeitgenosse würde uns eindringlich daran erinnern, dass uns Gottes Schöpfung als Lebensraum auf Zeit geliehen ist, und dass wir sie dergestalt an unsere Kinder und Enkel weitergeben müssen, dass auch sie gut darin leben können.

An unserem Umgang mit Gottes Schöpfung zeigt sich, wes Geistes Kinder wir sind, ob wir nur an heute und nur an uns und unsere Ansprüche denken gemäß dem Motto: „Nach uns die Sintflut.“, oder ob wir noch darum wissen, dass Gott seine Schöpfung den Menschen anvertraut hat, damit sie die Erde „bebauen und bewahren“. Schutz der Umwelt und Verantwortung für die Mitwelt haben es darum ganz wesentlich mit der Bitte um Gottes Geist zu tun.

Die Bibel gibt uns keine schnellen Rezepte für unsere Gegenwartsprobleme, aber sie will uns in eine verantwortungsbewusste Lebenshaltung führen, aus der heraus Bewahrung der Schöpfung gelingen kann.

Da ist es kein Wunder, dass in Paul Gerhardts Sommerlied die Bitte um Gottes Geist nicht fehlt, und so wollen auch wir im Wissen darum, wie nötig wir Gottes Geist für unsere Lebensgestaltung heute haben, in diese Bitte mit einstimmen:

Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.

Amen.

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