Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 18. Februar 2012

Pfrarrer Volker Fritz, Waldbronn / Karlsbad

Lukas 18, 31 – 34

31 Jesus nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen:
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,
33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen.
34 Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen,
und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.


Liebe Schwestern und Brüder,

wir befinden uns sozusagen am Vorabend der Passionszeit – nicht einmal mehr eine halbe Woche, dann ist Aschermittwoch und wir beginnen die Zeit, in der wir in besonderer Weise den Leidensweg Jesu bedenken.
Der Wochenspruch der morgen beginnenden Woche ist der Beginn der dritten Leidensankündigung Jesu nach Lukas.

Neun Kapitel vorher erzählt Lukas von zwei weiteren Leidensankündigungen:
die erste – nach dem überraschenden Petrusbekenntnis: Du bist der Christus Gottes! Der Messias! - ist die Ankündigung Jesu (Luk. 9, 22):
Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten und getötet werden – und am dritten Tag auferstehen.

Dieser Ankündigung folgen Reden über die Nachfolge, die seinen schweren Weg ahnen lassen. Nach der Verklärungsszene auf dem Berg zeigt sich, wie sehr die Jünger, vor allem Petrus, in ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen gefangen sind.
Ja, das folgende Heilungswunder ruft auch bei ihnen Entsetzen und Verwunderung hervor. In dieses Verwundern hinein dann Jesu zweite Leidensankündigung (Kap. 9, 44 + 45):
Lasst diese Worte in eure Ohren dringen: Der Menschensohn wird überantwortet werden in die Hände der Menschen. Aber dieses Wort verstanden sie nicht, und es war vor ihnen verborgen, sodass sie es nicht begriffen.

Sie begreifen es nicht.
Und genauso am Ende der dritten Leidensankündigung Jesu, zu der auch unser Wochenspruch gehört:
Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.

Bleibt die Frage:
Kann man, können wir die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi verstehen, intellektuell erfassen?
Es gibt viele Erklärungsversuche, aber noch mehr Fragen.
Das Bekenntnis zu einem Gott, der sich klein macht, auf Augenhöhe zu uns Menschen geht, das widerspricht vielen Erwartungen, die Menschen an einen, an ihren Gott haben, widerspricht vielen Vorstellungen, Bildern von Gott.

Ich rede bewusst von Bildern, weil ich an das Bilderverbot in den 10 Geboten erinnern möchte. Bilder, konkrete Vorstellungen, sind oft festgefügt, lassen keinen Raum für Neues, Überraschendes.
Ich möchte Sie an den Propheten Jesaja, den Zweiten, auch Deuterojesaja genannt, erinnern, von dem ja auch ein Wort die heutige Tageslosung bildet (Jes. 42, 1):
Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.

Schon Deuterojesaja hat seine Zeitgenossen damit geschockt, dass er ihre Erwartungen an Gott, ihre Vorstellungen von Gott verstört.
In seiner Gottesrede (Jes. 43) richtet er das Gotteswort aus:
… nicht ich habe dich dienen lassen, du hast mich dienen lassen. (Jes. 43, 24)
Luther übersetzt das so,
nach Westermann kommt die in der hebräischen Sprache gefundene Wortwendung nicht so gut ins Wort:
… mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. (Jes. 43, 24)

Und in den Liedern vom Gottesknecht beschreibt er den Weg des Knechtes Gottes, eben keinen Weg des Triumphes, des machtvollen Erweises der Größe Gottes, wie er von der damaligen Zeit – auch in Israel – erwartet wurde, sondern einen Weg durch Leid und Tod – hin zu Neuem Leben.

Auf die Lieder über den Gottesknecht (Jes. 53 u.a.) bezieht sich die Verkündigung vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi in besonderer Weise.
So von Gott reden, das irritiert auch heute.
Auch heute hören wir doch immer wieder:
wenn es einen Gott gibt, dann soll er doch Kriege und Blutvergießen, Naturkatastrophen und Not verhindern.
Entweder er kann das, oder es gibt ihn nicht.

Jesaja hat seinerzeit seinem Volk vorgeworfen:
ihr habt euch „ein Bild“ von Gott gemacht, aber nicht euer Leben in seinen Dienst gestellt, ihr hört nicht mehr die Botschaft: Siehe, ich mache alles neu …, ihr denkt nur an das, was war und wiederkommen soll.

Aber das ist das Gotteswort:
Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, – erkennt ihr's denn nicht?

Viele Kranke bei uns, vor allem Schlaganfallpatienten und Querschnittgelähmte, fangen dann an zu leben, wenn sie den Blick nach vorne wenden, entdecken, dass in ihrem Leben Neues werden kann, wenn sie – glaubend oder nicht – annehmen, dass sie eine Zukunft haben, dass Gott auch mit ihnen ein Leben vorhat, ihnen Sinn in ihrem Leben ermöglichen wird, getreu dem Jesuswort:
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. (Luk. 9, 62)

Und trotzdem – ein leidender Gottesknecht, Christus am Kreuz!
Was ist das für ein Gott, der einen Menschen opfern muss, dessen Sohn von sich sagen muss: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.
… um zu leiden und zu sterben …

Diese Frage ist mit all den bisherigen Überlegungen nicht intellektuell schlüssig beantwortet.
Ja, ich behaupte, es gibt keine rationale, menschlich schlüssige Antwort, die uns diesen Gott „begreifen“ lässt – allenfalls Hilfsgedanken …

Gott bleibt Gott,
und Ihm muss ich zutrauen, vertrauen, dass er – um sinngemäß mit Bonhoeffer zu sprechen – auch in dem mir Unsinnigsten Sinn, aus dem Bösesten Gutes werden lassen kann.
Trotzdem wage ich einen Gedankenzugang, eine andere Blickrichtung,
um die Leidensankündigung Jesu in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Wir bekennen Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist, aber wir glauben auch mit unseren jüdischen Geschwistern:
Höre Israel: ER unser Gott, ER Einer! (Buber Dtn. 6, 4)
Wenn wir aber glauben, dass der Vater und der Sohn und der Heilige Geist eins sind, dann können wir die Verkündigung vom Kreuz auch so hören:

GOTT selbst wird überantwortet werden den Heiden, und ER, GOTT selbst, wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden IHN, GOTT selbst geißeln und töten; und am dritten Tage wird ER auferstehen.

Gott gibt sich in das Getriebe dieser Welt, in die Räder der Geschichte, ist uns in Leid, aber auch in Freude nahe, nimmt auf sich, was wir alleine nicht tragen können.
Nicht irgendjemanden, sich selbst in Jesus Christus opfert Gott.
In dieser Sichtweise wird deutlich, wie unsinnig das Reden von einem grausamen und blutrünstigen Gott ist, auch wenn wir damit noch lange nicht alles verstanden haben dürften.
In dieser Sichtweise wird aber auch deutlich, dass wir Menschen es immer wieder sind, die Leid und Tod verursachen, denen dann andere Mitmenschen ausgesetzt sind, dem sich aber auch unser Gott selbst aussetzt.
Und in diesem Leiden, Aushalten, ja Standhalten und Überwinden Gottes erfahren wir: es gibt eine andere Möglichkeit, die Welt zu verändern, als Krieg und Gewalt, als Schwerter …
den Weg Jesu Christi!

Aber solange Menschen meinen, nur mit Gewalt, nur mit Macht – und das können auch schneidende, verletzende Worte sein – die Welt verändern zu können, solange opfern sie Menschen, und in ihnen auch Gott in dieser Welt.
Sein Weg für und mit uns ermutigt uns zum Bekennen, wie es der Seher Johannes
seiner bedrängten Gemeinde schreibt:
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. (Offb. 2, 10)

Wohin gehst Du, quo vadis, Domine?
So fragt Petrus in dem gleichnamigen Roman Jesus, der ihm auf der Flucht begegnet. Und Jesus antwortet ihm:
Ich gehe den Weg, den Du nicht gehen willst, oder auch mit dem Wochenspruch:

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden,
was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn:

in eine Welt voller Leid und Widersprüche,
für uns,
weil Er uns liebt.
Amen.

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