Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 13. Oktober 2012

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen. (Jer. 17, 14)

Markus 2, 1 – 12


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

der 19. Sonntag nach Trinitatis fällt ja immer in diese allmählich dunkler werdende Zeit, Mitte bis Ende Oktober. Da geht es vielen Menschen nicht so gut, weil das trübe Wetter drückt, weil die Natur sich mit einem letzten Aufflammen in die Winterpause verabschiedet, weil man leicht mal friert – wie gut haben wir’s heute, dass wir in der Regel nur den Heizkörper aufzudrehen brauchen (das war früher und ist noch heute in vielen Weltgegenden anders!). Da hängt dann bisweilen die Seele durch, und die trübe Dunkelheit legt sich auf unser Gemüt.

Da hinein ein Sonntag mit dem tröstlichen Thema „Heilung an Leib und Seele“! Das ist genau das, was wir brauchen. Im Sonntagsevangelium wird uns von einem Menschen erzählt, der sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Seine Freunde tragen ihn zu Jesus – und der macht ihn heil, stellt ihn wieder auf die Füße, und das keineswegs nur im Sinne einer Krankenheilung, sondern in viel tieferer Weise: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ M.a.W.: „Alles, was dich niederdrückt, alles, was dich daran hindert, mutig eigene Schritte zu tun, alles, was dir das Selbstvertrauen und das Gottvertrauen nimmt, alles, was dich von Gott und von den Menschen trennt, so dass dir die Beine weich werden und einknicken – das alles nehme ich von dir weg. Und nun stell dich wieder auf deine Beine; spüre, dass sie dich wieder tragen, und geh!“

Der Wochenspruch für die 19. Woche nach Trinitatis steht im Buch des Propheten Jeremia, und zwar in einem Abschnitt, der in der Lutherbibel überschrieben ist „Jeremias Gebet in Anfechtung“. „Anfechtung“ – das ist das biblische Wort für all das, was uns trübsinnig machen kann, so richtig in der Tiefe trübsinnig: Bei mir geht alles bergab; ich schaffe einfach nicht mehr, was ich schaffen sollte oder selber schaffen möchte; alle lassen mich im Stich; keiner mag mich und keiner versteht wirklich, wie es mir geht; und selbst beten kann ich nicht mehr.
Gibt es Gott überhaupt? Oder habe ich immer nur ins Leere geredet und gebetet? Mein Leben ist sinnlos; jedenfalls kann ich keinen Sinn entdecken. Habe ich überhaupt mein Leben richtig gelebt? Oder waren schon meine Grundentscheidungen, die richtunggebenden Weichenstellungen falsch? Wohin ist mein Glaube?

Ich vermute, dass wir alle diese zutiefst trübsinnigen Stunden kennen, wo wir nur noch durchhängen und eigentlich keine Kraft mehr haben, auch nur einen einzigen Schritt zu gehen. Wo alles nur noch düster aussieht.
Jeremia hat solche Zeiten durchlitten. Elia hat solche Zeiten tiefster Depression durchlebt. Er legte sich unter den Wacholder und wünschte sich zu sterben und versank in Schlaf. Selbst Jesus im Garten Gethsemane durchlitt die schwerste Form der Anfechtung, den Zweifel am Sinn dessen, was er tun sollte, den Zweifel an der Güte des Vaters...
Wenn auch wir so etwas kennen, dann befinden wir uns jedenfalls in guter Gesellschaft. Dann brauchen wir uns nicht zu schämen.

Jeremia soll Gottes Wort verkünden, und zwar Gottes Unheilswort. Da kommen nun aber andere Propheten mit demselben Anspruch, sie hätten Gottes Wort empfangen – aber bei denen sind es Heilsworte! Wie sollen Menschen das verstehen? Wie soll Jeremia selbst das verstehen? Gottesworte müssen doch Heilsworte sein!
Anfeindungen, Schmähworte und vor allem Selbstzweifel rütteln an ihm. Er macht Gott Vorwürfe: „Siehe, sie sprechen zu mir: ‚Wo ist denn des HERRN Wort? Lass es doch kommen!’ Aber ich habe dich nie gedrängt, Unheil kommen zu lassen; auch hab ich den bösen Tag nicht herbeigewünscht, das weißt du. Was ich gepredigt habe, das liegt offen vor dir.“
Gottzweifel und Selbstzweifel, was man eben so „Anfechtung“ nennt, zerreißen Jeremia. Und es gibt keinen Menschen, keinen Seelsorger, keinen Geistlichen Begleiter, mit dem er das besprechen kann.

Es kommt mir fast wie ein Wunder vor, wie ein Glaubenswunder: Er wirft sich dem Gott, den er doch so gar nicht versteht, in die Arme! In aller Anfechtung bleibt in seinem Herzen die Grundströmung des Vertrauens, wie wir das auch aus vielen Psalmen, Klagepsalmen kennen: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“ (Ps 73, 23f.) Genauso Jeremia: „Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“ Wenn ich auch nichts verstehe, wenn ich auch einsam auf verlorenem Posten stehe – du bist doch da, gegenwärtig in deinem Wort – und wir würden heute ergänzen: in deinem Sakrament. Ich weiß um deine Nähe – gegen alles Erfahren. Ich ahne deine Größe und deine Macht – gegen alle scheinbare Machtlosigkeit.

Liebe Schwestern und Brüder, es geht in diesem Gegen-an-Glauben und Gegen-an-Beten des Jeremia um nichts weniger als um das Geheimnis und die Anstößigkeit des Kreuzes: In der totalen Ohnmacht das Weizenkorn der Liebe Gottes zu erkennen! In der äußersten Hoffnungslosigkeit sich tragen lassen können von einer Grundströmung des Vertrauens!
Man kann das nicht machen. Und es geht nicht über das rationale intellektuelle „Begreifen“. Sondern was wir erbeten und erhoffen – mit Jeremia – ist das Wunder des Glaubens: Was auch immer geschieht, ich halte mich daran fest, dass DU in und hinter allem bist und Gedanken des Friedens, Gedanken des Heils mit uns hast.

Wir stehen ja gottlob nicht allein. Wir stehen in der Gemeinschaft der Kirche, der Glaubenden, der Schwestern und Brüder, die mit auf dem Weg sind, in der Gemeinschaft der biblischen Glaubenszeugen wie z.B. Jeremia. Von dieser Grundströmung vertrauenden Glaubens möchte ich mich tragen lassen, so wie der Gelähmte sich tragen ließ vom Vertrauen seiner Freunde. Ich möchte einstimmen in das geradezu blinde, trotzige Vertrauen: Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen!
Amen.

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