Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 23. März 2013

OKR i.R. Klaus Baschang, Karlsruhe


Wochenspruch: Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Joh. 3, 14b15)

Betrachtung des heiligen Leidens Christi


Heute Abend beginnt die Karwoche, die Kreinewoche, Weine-, und Tränenwoche. Bei den Franziskanern hatte sich im Mittelalter eine geistliche Übung ausgebildet, die sich bald in die Gemeinden verbreitet hatte und bis heute sehr beachtlich ist.  „Betrachtung des heiligen Leidens Christi“. Diese Übung wollen wir jetzt aufgreifen. Aber wir betrachten keine Bilder, wie das damals üblich war. Da gab es nämlich auch böse Bilder von wütenden Juden. Davon hatte sich Luther scharf distanziert. Wir müssten angesichts des Kreuzes über uns selbst wütend sein, meinte er, nicht über die Juden. Luther hatte zwar eine religiöse Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben geführt. Der rassische Antisemitismus der Nazis mit dem Holocaust  kann aber auf keinen Fall von Luther hergeleitet werden,  wie das momentan wohlfeil ein paar Krchenleute tun.

„Betrachtung des heiligen Leidens Christi“. Wir lassen uns von dem Wochenlied der Karwoche leiten.

Du großer Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen,
Herr Jesu, dir sei Dank für alle deine Plagen:
für deine Seelenangst, für deine Band und Not,
für deine Geißelung, für deinen bittern Tod.

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 87)

Dieser Vers ist ein Gebet, das ganze Lied ist ein Gebet. Denn das Geheimnis des Leidens Christi erschließt sich in seiner Tiefe nicht in der Betrachtung von Bildern. Wir können es nicht verstehen, wenn nicht Christus selbst  dieses Geheimnis uns erschließt. Darum ist das Beten die angemessene Haltung, um dem Leiden Christi zu begegnen und seinen Sinn für uns zu erspüren. Unsere Seele muss sich öffnen. Im  Choral wird sie durch Musik unterstützt, wenn wir singend beten.

Bei ersten Veröffentlichung dieses Liedes trug es die Überschrift „Bitte um die Frucht des Leidens Christi“. Es geht also von Anfang an nicht nur darum, die äußeren Vorgänge zu betrachten. Der innere Sinn soll uns erfassen, die Wahrheit über uns, die in dem Kreuzesgeschehen sichtbar wird. Die Wahrheit des Glaubens ist immer Wahrheit von Gott, aber zugleich ebenso Wahrheit über uns selbst. Wenn wir von Gott reden, dann steckt in jedem Satz auch eine Aussage über uns selbst. Und das ist nun die Wahrheit über uns selbst:

Ach das hat unsre Sünd und Missetat verschuldet,
was du an unsrer Statt, was du für uns erduldet.
Ach unsre Sünd bringt dich an das Kreuz hinan;
o unbeflecktes Lamm, was hast du sonst getan?

Es ist ungewöhnlich, dass wir von Sünde so lapidar reden, so ungeschminkt. Wir empfinden wohl Defizite in unserem Leben, am meisten vermutlich  zwischen unserem Wollen und Gelingen. Körperliche Beschwerden sind zumeist nicht nur körperliche Schmerzen; sie sind zugleich Einschränkungen unserer Persönlichkeit. Wir sind Mängelwesen. Oft wissen wir nicht einmal, wie wir ethisch korrekt einkaufen sollen: im Hofladen beim Bio-Bauern zur Förderung heimischer Landwirtschaft oder im Supermarkt, damit Absatzmärkte für die Landwirtschaft in Ländern erhalten bleiben, die sich erst noch entwickeln müssen. Erschreckend ist gar die Einsicht, dass uns bei kranken Menschen die Angst begegnen kann, selbst einmal so krank zu werden.

Was hat das alles mit Sünde zu tun? Und gar mit Missetat? Missetat ist ein aktives Geschehen oder ein passives Unterlassen. Aber Sünde ist mehr als eine Tat, mehr als Unterlassen. Wie hängen Sünde und Missetat zusammen? Wie kommen sie in unserem Leben vor?

Dein Kampf ist unser Sieg, dein Tod ist unser Leben;
in deinen Banden ist die Freiheit uns gegeben.
Dein Kreuz ist unser Trost, die Wunden unser Heil,
dein Blut das Lösegeld, der armen Sünder Teil.

Kampf und Sieg, Tod und Leben. Das sind gewaltige Gegenüberstellungen. Daran wird deutlich: unserem Mangel kann nur Gott selbst abhelfen, unsere innere Zerrissenheit kann nur er überwinden. Darum sind diese gewaltigen Gegenüberstellungen gut für uns und für unseren Alltag absolut wichtig.

Wir sind nämlich gewohnt, die Unterschiede im Leben zu verharmlosen und harmonistisch zurecht zu biegen. Alles muss irgendwie gleich gemacht werden, vereinheitlicht, nicht mehr unterscheidbar. Aber genau dieses ist falsch, geradezu lebensfeindlich. Die Welt ist so kompliziert geworden, dass wir nur noch schwer Klarheit gewinnen können, nur schwer Orientierung für unser Leben in dieser unüberschaubaren Welt erreichen. Darum sind die harten Gegenüberstellungen des Glaubens hilfreich für das alltägliche Leben. Sie eröffnen Durchblick durch den Alltagsnebel. Sie entlarven die Harmlosigkeiten, in denen viele Menschen sich so bequem einrichten.

Sünde heißt nämlich: sich im Mangel einrichten und wohl fühlen,  nicht über den Mangel hinaus denken, hinaus fühlen, hinaus glauben, sondern mit sich selbst zufrieden sein. Das ist die Sünde schlechthin, die allen aktiven Taten und passiven Unterlassungen voraus liegt, die Ur-Sünde: Gott nicht brauchen wollen, Gott nicht brauchen können. In dieser Ur-Sünde wurzeln die Missetaten, die aktiven Sündentaten, ebenso wie die passiven Unterlassungen. Diese Ur-Sünde kommt uns am Kreuz vor Augen, sie entlarvt uns. Und sie wird am Kreuz überwunden – von Gott selbst

Luther sagt einmal: Gott recht erkennen, das heißt nicht, seine Macht und Weisheit erkennen wollen. Die sind schrecklich. Die vernichten uns. Gott recht erkennen, das heißt: seine Güte und Liebe erkennen, mehr noch: er-greifen, geradezu in sich ziehen. Es ist wie beim Essen und Trinken. Speise und Trank nähren uns nur, wenn wir sie nicht nur anschauen, sondern in uns aufnehmen. Es genügt nicht zu sagen, dass ein Gott sei. Es ist nötig zu sagen, dass Gott mein Gott ist, dass der Vater Jesu Christi mein Gott ist und darum Weisheit und Macht Gottes mich nicht erschrecken müssen. Obwohl sie sicher geheimnisvoll und unerkennbar in mein Leben einwirken.

O hilf, dass wir auch uns zum Kampf und Leiden wagen
und unter unsrer Last des Kreuzes nicht verzagen;
hilf tragen mit Geduld durch deine Dornenkron,
wenn’s kommen soll mit uns zum Blute, Schmach und Hohn.

So sieht die Frucht des Leidens Christi im Alltag der Glaubenden aus. Unser Lied ist zur Zeit der Gegenreformation in Schlesien entstanden. Da sind Schmach und Hohn keine Fremdworte, sondern bittere Erfahrungen. Warum sollte es uns besser als unserem Herrn ergehen? Oder besser als unseren Vorfahren im Glauben, die für uns den Glauben lebendig erhalten haben?

Wir dürfen niemand in Kampf und Leiden treiben wollen. Wir dürfen uns als Kirche aber auch nicht so verhalten, dass wir uns nötige Auseinandersetzungen ersparen, dass wir den Kampf des Geistes meiden, dass wir den Hohn derer, die anders denken als wir, für wichtiger nehmen als die Wahrheit, die uns ergriffen hat. Der Glaube ist nie gereift, wenn er es sich bequem gemacht hat. Er war nie attraktiv, wenn er sich einfach den Zeitläufen angepasst hat.

Der Glaube ist also tätig, lebendig, mutig. Die Rückseite dieses Glaubens ist die Geduld.
Das ist tröstlich für alle Menschen, die sich im Getriebe des Alltags nicht mit dem Glauben zurecht finden. Geduld ist angesagt. Zur Reifung des Glaubens gehört die Geduld. Geduld mit Gott, Geduld für mich selbst und auch Geduld für die Mitmenschen, so wie Gott Geduld mit uns hat.

Geduld ist eine Tugend geworden, die unsere Zeit ganz besonders dringend braucht. Wir leben in einer krankhaft ungeduldigen Welt. Geduld ist nötig, die Haltung des Glaubens, also Freiheit, Mut und Widerstand. Nur die Geduldigen können unserer Welt zum Besseren helfen, nicht die Ungeduldigen.

Dein Angst komm uns zugut, wenn wir in Ängsten liegen;
durch deinen Todeskampf lass uns im Tode siegen;
durch deine Bande, Herr, bind uns, wie dir’s gefällt;
hilf, dass wir kreuzigen durch dein Kreuz Fleisch und Welt.

Nochmals Alltag des Glaubens. Jetzt aber mit der Perspektive durch den Alltag hindurch in die Ewigkeit hinein. Man muss klar sehen: Mit der Vorstellung von der Ewigkeit tun wir uns in unserer Kirche zurzeit schwer. Dabei ist es intellektuell gar nicht so schwer: Gott ist mit sich nie am Ende; und darum auch nicht mit uns. Gott ist immer Anfang; und so auch für uns. Wir aber scheuen das Nachdenken über Ewigkeit. Darum wird soviel von Angst geredet. Unser Lied bindet nun aber unsere Angst mit Christi Angst zusammen. Und es bindet Christi Tod mit unserem Tod zusammen.

Solches Zusammenbinden von Christi Angst mit unserer Angst und von Christi Tod mit unserem Tod nennt Luther mit Christus gleichförmig werden. Wie sollen wir das schaffen? Nie und nimmer wir selbst! Aber doch allezeit und immer, wenn Christus selbst sich darum kümmert. Das ist der Schlüssel für unser Heil in der Ewigkeit: Wir können betend Christus darum bitten, dass er sein Werk an uns zur Vollendung bringt, uns gleichförmig macht mit ihm selbst.

Luther liegt da ganz auf der Linie des Paulus. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu… Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt (2. Kor 5,19-21).

Dieser Hinweis ist mir sehr wichtig. Denn seit einiger Zeit geistern Ideen eines sonderlichen Theologieprofessors durch die Kirche. Er behauptet, Christus würde als Menschenopfer Gott dargeboten, um Gottes Zorn über die angebliche Sünde der Menschen zu befriedigen; die alte Kirche habe Blut gebraucht, um den Rachegott ruhig zu stellen. Und weil das so einfach klingt und ganz dem Geist unserer Zeit entspricht, wird das auch noch in Rundfunkandachten und beim Wort zum Sonntag populistisch nachgeschwätzt. Niemand soll sich davon irritieren lassen. Niemand!

Nein. Das unbegreifbare Geschehen am Kreuz hat Gott selbst verursacht zu unseren Gunsten. Christus wurde nicht als Menschenopfer hingerichtet, sondern vom Vater zum Teilhaber  an unserem Sterben gemacht. Niemand von uns soll je alleine sterben müssen. Darum stirbt Gottes Sohn so wie wir alle. Ihm wurde von Gott unsere Ur-Sünde zugemutet, damit wir mit ihm gleichförmig werden in der Ur-Sünde und in deren Überwindung. Um unserer Sünde willen ist Christus gestorben, damit wir mit seiner Gerechtigkeit vor Gott bestehen können.

Man versteht das nicht, wenn man Gott als den fernen Gesetzgeber, Aufpasser, Richter denkt. Der Gott der Bibel ist ein solidarischer Gott, solidarisch mit uns Menschen. Darin ist der Gott der Bibel einzigartig in der bunten Götterwelt von der Antike bis in die Neuzeit. Nicht wir  versöhnen Gott mit uns, sondern Gott versöhnt uns mit sich. Das ist die Frucht des Leidens Christi für uns. Amen.

Lass deine Wunden sein die Heilung unsrer Sünden,
lass uns auf deinen Tod den Trost im Tode gründen.
O Jesu, lass an uns durch dein Kreuz Angst und Pein
dein Leiden, Kreuz und Angst ja nicht verloren sein.

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