Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 3. August 2013

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, das er zum Erbe erwählt hat. (Psalm 33, 12)

Markus 12, 28 – 34


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

Mitte Juli, genauer, am 16. Juli, begingen die jüdischen Gemeinden den „Tischa be Aw“ (der 9. des Sommermonats Aw), den Tag des Gedenkens an die beiden Zerstörungen des Tempels in den Jahren 587 v. und 70 n. Chr. Es ist liturgisch sinnvoll, dass wir jedes Jahr in zeitlicher Nähe, meist Anfang August, am 10. Sonntag nach Trinitatis den „Israelsonntag“ begehen. Dieser Sonntag steht traditionell unter dem Thema „Christen und Juden“, einem Thema, das immer noch schwierig und mit vielen Emotionen beladen ist.

Wir stehen als christliche Kirche in einer jahrhundertelangen unseligen Geschichte des Hochmutes gegenüber dem Judentum, die sich immer wieder und keineswegs nur im Nationalsozialismus entlud in Pogromen und blutigen Verfolgungen. Es scheint, dass uns Deutsche die furchtbare Geschichte des sog. 3. Reichs langsam und allmählich zur Erkenntnis bringt, dass die Abwehr einer uns in manchen Dingen fremd erscheinenden und doch so verwandten Religion religiös und rational nicht zu begründen ist. In der Theologie wächst in den letzten Jahrzehnten die Einsicht, dass wir selber als Christen uns überhaupt nur verstehen können als in einer Linie stehend mit der jüdischen Tradition und Verheißung. Jesus, der Christus, ist ohne den alten Bund nicht zu verstehen. Das Evangelium steht in der Tradition der alttestamentlichen Prophetie und hinge da ohne in der Luft. Das wird besonders deutlich am morgigen Sonntagsevangelium, das ich gelesen habe, in dessen Mitte der große jüdische Bekenntnis– und Gebetstext aus dem Dt steht: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein“. Das von Jesus betonte Doppelgebot der Liebe, das wir gern als „typisch christlich“ ansehen, ist Zitat aus dem AT!

Unser christlicher Gottesdienst ist herausgewachsen aus dem Synagogengottesdienst. Das Neue Testament ist nicht, wie bisweilen Menschen geglaubt haben, dereinst senkrecht vom Himmel gefallen, sondern ist organisch aus dem Alten Testament herausgewachsen.
So möchte der 10. Sonntag nach Trinitatis ein Sonntag der Besinnung auf unsere Wurzeln sein, ein Sonntag der Dankbarkeit für die auch uns geltenden alten Verheißungen Gottes, des Vaters Jesu Christi.

Und für diese Woche nun der Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, das er zum Erbe erwählt hat.
Dies Wort ist nicht etwa entnommen aus einer Abhandlung über die Erwählungstheologie! Es bedenkt nicht etwa die Bedeutung, die Folgen der Erwählung des Volkes Israel als Gottes besonderes Volk. Sondern es ist ein Psalmwort, eingebettet in ein „Loblied auf Gottes Allmacht und Hilfe“ – so die Überschrift in unserer Bibel über dem 33. Psalm.

Der 33. Psalm ist für mich einer der schönsten Psalmen, bewegend in seinem überfließenden Lob und Dank für den besonderen Gott, nämlich JHWH, dem die Israeliten sich zugehörig fühlen dürfen.
Der Psalm ist vermutlich während oder nach der Zeit des Exils in Babylon entstanden und spiegelt die neue und überwältigende Gotteserkenntnis dieser Zeit: Dass Völker, Nationen, jeweils ihre Götter hatten, ihre Stammes– oder Nationalgötter, das war in der Antike (wir sprechen über das 6. vorchristliche Jahrhundert) eine selbstverständliche Vorstellung. Auch Israel hatte seinen Nationalgott, JHWH. Der aber war im Reigen der Gottheiten besonders und einmalig!
Zwei seiner Besonderheiten werden im Psalm dankbar besungen:

Zum Einen ist er der Schöpfergott, der alles gemacht hat, und zwar durch die schöpferische Kraft seines Wortes:
Der Himmel ist durch das Wort des HERRN gemacht
und all sein Heer durch den Hauch seines Mundes.
Wenn er spricht, so geschieht’s;
wenn er gebietet, so steht’s da
.
So konnte kein Volk von seinem Gott sprechen! Denn in der Folge sind alle anderen Gottheiten, oft Astralgottheiten, Schöpfungen dieses einen Gottes. Unvergleichlich thront ER über allen! Und so singt der Psalm:
Alle Welt fürchte den HERRN (JHWH),
und vor ihm scheue sich alles, was auf dem Erdboden wohnt
.

Ein Zweites: Dieser Gott, so unvergleichlich er ist in seiner Erhabenheit und Größe, sieht jeden einzelnen Menschen, hat acht auf jeden einzelnen Menschen und unterscheidet zwischen denen, die ihn „fürchten“, ihm die Ehre geben, ihm vertrauen, und denen, die ihn in seiner Heiligkeit nicht wahrnehmen. Ersteren gilt die Verheißung des Lebens und des Segens:
Der HERR schaut vom Himmel und sieht alle Menschenkinder.
Von seinem festen Thron sieht er auf alle, die auf Erden wohnen.
Er lenkt ihnen allen das Herz, er gibt acht auf alle ihre Werke.
Siehe, des HERRN Auge achtet auf alle, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen,
dass er sie errette vom Tode und sie am Leben erhalte in Hungersnot
.
Es ist eine grandiose und dabei zutiefst bewegende Vorstellung, dass dieser unvorstellbare Gott „im Himmel“ herniederschaut auf uns Menschen, auf jeden von uns, unser Leben begleitet und bewahrt. „Er erhebt die Niedrigen, füllt die Hungrigen mit Gütern“ – so lässt Lukas Maria im Magnificat singen und nimmt damit die Gottesvorstellung der Psalmen auf, Linien also, die vom Alten Testament her kommen und in das Neue hineinreichen.

In der Mitte nun dieses 33. Psalms, wie eine Klammer zwischen dem Preis des Schöpfergottes JHWH und dem Dank für seine liebevolle Zuwendung zu uns Einzelnen, steht der Vers 12, der unser Wochenspruch ist: Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, das er zum Erbe erwählt hat. Wohl dem Volk, das zu diesem höchsten aller Götter, zu dem, der alles gemacht hat, gehört! Wohl dem Volk, dem dieser Gott sich in besonderer Liebe zuneigt, ihm besonders gewogen ist, ihm besonders nachgeht, das ER zum Erbe eingesetzt und erwählt hat!

Liebe Gemeinde, die Evangelien zeichnen die Linien dieser Gottesvorstellung aus, hinein in die Person Jesu Christi, der nichts anderes tut und sagt, als was der Gott Israels, JHWH, gesagt und getan hat: Als Messias, als der Gesalbte des HERRN, begegnet er uns Menschen, neigt sich uns zu, verheißt uns Leben auch angesichts des Todes. Vom Evangelisten Johannes wird er als Verkörperung („Inkarnation“) des Wortes gedeutet, das die Schöpfung ins Sein gerufen hat. In Christus eingesenkt, als Getaufte, gehören wir – ich sage es nur mit dankbarem, beinahe ungläubigem Staunen – zu dem Gott, dem HERRN, der im 33. Psalm besungen wird. In Christus dürfen wir mit Israel loben: Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, das er zum Erbe erwählt hat.
Amen.

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