Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 19. Oktober 2013

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm. 12, 21)

Matthäus 5, 38 – 48


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

der Wochenspruch scheint so etwas wie eine Kurzfassung des Sonntagsevangeliums zu sein. Lass dich nicht provozieren, sondern komme dem entgegen, der, vielleicht sogar in böser Absicht, etwas von dir will. Verteidige dich nicht, sondern mache dich im Gegenteil schutzlos gegenüber dem Angreifer. Gib dem Bittenden mehr, als worum er bittet. Und liebe nicht nur die Liebenswerten, sondern auch die anderen...
Kurz also: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Wir wissen alle, wie schwer das ist – da zu lieben, wo uns keine Liebe entgegengebracht wird; da still zu halten, wo uns Unrecht getan wird.
Aber noch schlimmer: Es fällt uns nicht nur schwer, sondern, wenn wir ehrlich sind, wir zweifeln eigentlich auch an der Richtigkeit, am Sinn solcher Empfehlungen: Was soll solches Tun bewirken? Wird das irgendjemanden beeindrucken? Wird der, dem man allzu freigiebig gibt, nicht immer mehr haben wollen? Beispiele dafür gibt es genug... Schwäche zeigen fordert doch nur heraus zu noch mehr Gewalt! Auf dem Schulhof kann man das beobachten: Gerade die Zurückhaltenden werden doch am meisten gehänselt, heute sagt man „gemobbt“.

Vor wenigen Jahrzehnten hat man in der Friedensdiskussion heftig darüber gestritten, ob die Regeln der Bergpredigt in der Politik anwendbar sind. Erreicht man den Frieden in der Welt mit Abrüstung, womöglich einseitiger Abrüstung? Wurde nicht der Frieden in Europa, so unerfreulich das ist, schließlich durch ein Gleichgewicht der militärischen Stärke erhalten?
Nun, damals ist viel darüber geredet und geschrieben worden. Das kann und will ich jetzt nicht hervorholen. Gelöst sind die Fragen nicht. Aber eins ist, so meine ich, klar geworden: Die Bibel ist keine Ansammlung von Patentrezepten, mit denen man die Welt oder wenigstens unser kleines Leben in Ordnung bringen könnte. Bei allem guten Willen bekommen wir die Welt nicht in Ordnung. Sie ist in Unordnung, und zwar von Grund auf. Ein Abgrund, ein Sund – daher das Wort „Sünde“ – liegt zwischen dem Schöpfer und der gefallenen Schöpfung. Das wissen wir nicht erst seit ein paar Jahren. Das wussten Menschen schon immer – und haben in alten Mythen Antworten versucht auf die Frage nach dem Bösen. Ein solcher Antwortversuch ist die Paradiesgeschichte, die Verführung des Menschen durch die Schlange, das Symbol eben des Verführers, des Durcheinanderbringers, des „Diabolos“, des Teufels.
Beim Stichwort „Teufel“ fällt uns natürlich die Versuchungsgeschichte ein: Da spielt der Verführer mit Jesus das gleiche Spielchen durch wie die Schlange mit Eva: „Sollte Gott gesagt haben...“ Nur der Ausgang ist ein anderer, wie wir wissen. Jesus lässt sich nicht herausreißen aus seiner engen Verbindung mit Gott, er lässt sich nicht abbringen von seinem Glauben, von seinem Hören auf die Stimme des Vaters, von seinem „Gehorsam“. Er „bleibt in Gott“, so könnte man sagen.

Ich denke, dies könnte die Veranschaulichung sein für unseren Wochenspruch: Jesus hat sich nicht vom Bösen überwinden lassen; sondern er überwand das Böse oder auch „den Bösen“ mit Gutem. Er überwand den Zwiespalt, der ihn zu zerreißen drohte, mit der entschiedenen Hinwendung zu seinem himmlischen Vater. Das „Gute“, mit dem er überwand, war die Treue zu Gott, der Glaubensgehorsam, das Vertrauen darauf, dass, wo er sich fest an Gottes Hand und Wort festhielt, auch Gott ihn nicht loslassen würde.

Was bedeutet das für uns – für uns schwache Menschen? Sind wir nicht völlig überfordert mit dem Ansinnen, es nun also Jesus gleich zu tun? Der letzte Satz des Sonntagsevangeliums bringt das Unmögliche auf den Punkt: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Wie soll das angehen?

Solange wir diese Sätze als moralische, ethische Forderungen auffassen – seid vollkommen; überwindet das Böse mit Gutem; – so lange ist unser Scheitern an diesen Forderungen vorprogrammiert. Aber sind es wirklich in erster Linie Forderungen? Steckt nicht etwas anderes, Tieferes dahinter?
Mir hilft, wie so oft, das genaue Hinschauen auf das Wort im Urtext: Da steht „teleios“, eine griechische Entsprechung des hebräischen tamim. Matthäus steht in der hebräisch-jüdischen Denktradition. Und da bedeutet „Vollkommenheit“ nicht das unerreichbare Ideal des perfektionistischen Handelns. Sondern in diesem Wort schimmert die Gottesbeziehung des Menschen durch: Ganz und ungeteilt – „vollkommen“ eben – soll unser Herz Gott gehören! Ganzheitlich – „vollkommen“ eben – soll unser Hören auf Gott sein!
Ich möchte es mit der Liebe zwischen Menschen vergleichen: Wenn Eheleute einander lieben und vertrauen, einander treu sind, dann geht das nur ganz – und nicht teilweise oder zeitweise! Dann gehört mein Herz ungeteilt meinem Mann, meiner Frau. Es wird sogar nicht mehr an den Eltern hängen, sondern ganz und gar an meinem Ehepartner!
Wenn eine Frau beschließt, Diakonisse zu werden oder sonst einem Orden, einer Kommunität beizutreten, Profess zu machen, dann geht das auch nur ganz und ungeteilt – oder es geht gar nicht. Halbe Sachen gehen nicht!
Genauso, denke ich, ist das hier mit der Vollkommenheit gemeint: So wie Gott mich ganz liebt und nicht nur Teile von mir, so gehöre ich Ihm ganz und nicht nur teilweise. Und so wende ich die Ohren und Augen meines Herzen Ihm ganz zu, und nicht nur hier und da oder manchmal oder wo es mir passt. 

Die scheinbar moralische Extremforderung wird so zu einer Antwort auf Gottes ganze Liebe zu mir: Ihr gehört mir ganz und ungeteilt! Dich habe ich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Als mein geliebtes Kind wirst du dein Leben führen!
Dann ist die Frage gar nicht mehr: Ist das sinnvoll oder praktikabel? Wird sich ein Feind davon beeindrucken lassen, dass ich ihn liebe? Bekomme ich das überhaupt hin? Oft genug sicher nicht. Aber darum geht es nicht!
In dieser unserer Welt wird die Stimme Gottes oft genug überhört, sein Wille mit Füßen getreten, seine Liebe verschmäht – dies alles auch von uns! Das hat Gott selbst in Jesus erlitten am Kreuz. Wir haben nicht die Verheißung, dass wir mit unserem Glauben, mit unserem Festhalten an den Geboten Gottes die Welt schließlich verbessern oder die Menschen verändern – wenn das auch gelegentlich wunderbarerweise durchaus geschieht!
Aber wir haben die Verheißung, in Gottes Liebe aufgehoben zu bleiben, „selig“ zu sein, eventuell durch Leiden und Tod hindurch, wenn wir bei uns und bei Ihm bleiben, in Treue und Beständigkeit mit unserem Lieben auf Gottes Lieben antworten, in all unserer menschlichen „Unvollkommenheit“ – und so im Letzten das Böse mit Gutem überwinden.
Amen.

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