Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Jahresfest-Predigten

Predigt zum 176. Jahresfest am 5. Oktober 2013

Pfarrer Wolfgang Scharf, Karlsruhe

Matthäus 6, 19 – 23


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde!

Was sind Schätze, die nicht von den Motten und dem Rost gefressen werden, Schätze, die keine Diebe zum Einbruch und stehlen verlocken?

Ich nehme Sie zur Beantwortung dieser Fragen zunächst auf eine Reise mit nach New York, eine Reise, die ich gestern in der Frühe selbst bei einer Andacht von Pfarrer Christoph Seidl aus Regensburg antreten durfte.

‚Zwei Stühle, die sich an einem Tisch gegenüberstehen. Auf dem einen sitzt eine Frau, auf den anderen kann man sich als Passant hinsetzen und der Frau in die Augen schauen – oder sich von ihr in die Augen schauen lassen. Hunderte von Menschen haben es vor drei Jahren ausprobiert, über 90 Tage hinweg, immer dieselbe Frau. Die Frau ist Künstlerin. Sie heißt Marina Abramovic und stammt aus Belgrad. Vor drei Jahren fand im Rahmen einer großen Ausstellung ihres Werkes im New Yorker Museum of Modern Art auch diese Performance statt unter dem Titel „The Artist is present“. Einfach nur anwesend sein, sich anschauen, das würdigen, was ist, dem Menschen Ansehen geben. Hunderte Besucher, jeden Morgen eine nochmal längere Schlange von Menschen, die bereit waren, stundenlang zu warten, bis sie der Künstlerin persönlich in die Augen schauen durften. Viele fingen an zu weinen, als es soweit war, manche berichteten danach von einer Erfahrung, die ihr Leben verändert hat.’

Was ist es, das Menschen veranlasst in dieser von Schnelligkeit pulsierenden Stadt, einer Stadt in der man normalerweise keine Zeit hat, stundenlang auf diesen persönlichen ‚Augen–Blick’ zu warten? Offensichtlich ist er wertvoll dieser ‚Augen–Blick’. Ein ‚Augen–Blick’, der in die Begegnung von Mensch zu Mensch führt.

Dies ist es, das ich in vielen Gesprächen und Begegnungen höre, was Menschen vermissen und wonach sie sich sehnen: nach direkter Begegnung, einem Gespräch mit einem Gegenüber, der für mich da ist. Das ist doch etwas ganz anderes, wenn ich beim Anruf nicht beim Anrufbeantworter hängen bleibe, der mir – meist viel zu schnell – Mitteilungen und Kontakttelefonnummern herunterrattert und den Anrufer – als älteren Menschen wohl noch mehr – ratlos vor einem Notizblock zurücklässt auf dem hastig dahingeschrieben die ersten Ziffern jener Verbindungsnummer stehen. Und welch ein Schatz ist es etwa, wenn ich einem Bankberater gegenübersitze, der sich ohne Hast und Eile auf mein Tempo einlässt; einer, der mir nicht seine Produkte verkaufen, sondern der mich in meinem Sinne berät. Es gibt sie, Gott sei Dank!

Nicht mit Geld sind wahre Begegnungen zu kaufen, Präsenz von Menschen mit achtsamem Umgang und einer geistlichen Haltung, die ihr Leben prägt. Wir alle, die wir diesen Gottesdienst feiern wissen, dass es in Bethlehem diesen Schatz gibt, den keine Motten und kein Rost fressen, einen Schatz, den auch Diebe nicht forttragen – oder heute würden wir wohl eher sagen – die Buchhalterinnen oder Wirtschaftsführer nicht ‚fortbuchen’ können. Dass letzteres durchaus eine bittere und ganz reale Erfahrung war, wissen viele unter Ihnen und ist in der Festschrift zum letztjährigen 175. Jubiläum erschütternd nachzulesen.

Der Schatz, der nicht zu rauben ist sind die Schwestern, die dieses Werk und dieses Haus prägten und bis heute prägen. Sie und jene, die dieses Werk einst begonnen haben, haben nicht weggeschaut, sondern hingeschaut auf die Nöte und Notwendigkeiten von Menschen in ihrer jeweiligen Zeit. So wurde seinerzeit vor 176 Jahren hingeschaut auf das, was Kinder nötig hatten. Kinder wurden in den Blick genommen. Sie erlebten viele persönliche ‚Augen–Blicke’. ‚Augen–Blicke’ erleben auch die Bewohnerinnen und Bewohner im Haus Bethlehem, wenn nach ihnen am Morgen geschaut wird und bei vielen Begegnungen über den Tag hinweg.

Die offene Schatzkammer ist die Kapelle als Zentrum des gemeinsamen geistlichen Lebens, das ausstrahlt in die Hausgemeinschaft und weit darüber hinaus. Hier schlägt das Herz, hier ist Gottes Wort gegenwärtig und lebendig. Hier strahlt das Licht auf, das uns in Jesus Christus begegnet, das Licht des Lebens, das uns licht werden lässt. Hier kommt es zu ‚Augen–Blicken’ mit dem, der uns geschaffen hat und erhält, mit dem, der das Haupt ist und wir seine Glieder.

Zu den Gliedern, die zum Schatz von Bethlehem gehören, gehören die Menschen des Freundeskreises und der Diakoniegemeinschaft, die mit ihrem Gebet, ihrer Treue und sicher auch mit mancher finanziellen Zuwendung die Gemeinschaft hier vor Ort begleiten und tragen. Es sind die Menschen, die Verantwortung im Verwaltungsrat und in der Verwaltung übernommen haben und hatten. Ihnen sei Dank für ihren verantwortungsvollen und treuen Dienst, der ermöglicht, dass wir uns heute finanziell unbeschwert, über den Schatz der Menschen in diesem Werk freuen dürfen.

Die Bibel ist gefüllt mit Momenten der Begegnung zwischen Jesus und unterschiedlichsten Menschen. Für mich persönlich ist dies ein Ansporn und eine Herausforderung zugleich, offen für Begegnungen mit Menschen zu sein. Wie oft sind Begegnungen unversehens zu Schätzen geworden, oft mit unerwarteten Wendungen.

Vor wenigen Tagen ein Kind auf der Straße, unterwegs mit seinem Vater. Ein Flugzeug hoch am Himmel, kaum zu hören, Gewohnheit für uns Erwachsene. Und da steht dieses kleine Kind, staunend den Kopf erhoben, den Blick zum Himmel gewandt, mit großen Augen dem Flugzeug folgend. Momente, die ein Leben reich machen, für den Vater, aber auch für mich, den zufälligen Passanten.

Unvergessen eine Fahrt mit Konfirmanden nach Meersburg zur Bibelgalerie, noch von meiner ersten Gemeinde aus. Ich eile von der Führung zum Parkplatz, um noch einen Parkschein nachzulösen. Ein Mann, mich intensiv beobachtend, tritt heran: „Ich zeige Sie an! Sie dürfen nicht nachlösen! Das ist verboten!“ Nicht gerade einladend – und doch kommen wir ins Gespräch, stellen fest, dass es gemeinsame Bekannte gibt. Am Ende: ich parke um und stelle das Fahrzeug ab – auf dem privaten Parkplatz jenes Geschäftsmannes. Eigenhändig hat er die Parksperre zur Seite geräumt. Bis später dann – und die Parksperre beim Wegfahren wieder aufstellen. Unvergessen – ein Schatz fürs Leben.

Das Leben und der Herr des Lebens hält für uns – dessen bin ich gewiss – noch viele Schätze bereit, die wir miteinander, mit anderen, mit IHM entdecken und sammeln dürfen. Schätze, die unser Leben – bei aller auch gegebenen Notwendigkeit materieller Schätze – reich machen.

Für diesen Nachmittag und weit darüber hinaus, wünsche ich, dass wir uns in der Begegnung miteinander der Schätze freuen, die im Leben bleiben. Ich danke allen Wegbegleitern von Bethlehem durch Jahre und  Jahrzehnte; danke heute aber auch besonders meinen persönlichen Wegbegleitern, meiner Frau und meinen Kindern, meinem Vater, meiner Tante, der Familie meiner Frau, den Freunden, den Menschen, die ich im Studium, in den früheren Gemeinden und besonders auch in den vergangenen beiden Jahren hier in Karlsruhe auf dem Weg ‚geschenkt’ bekam; Kollginnen und Kollegen. Danke für jeden ‚Augen–Blick’ mit Ihnen und Euch. Und danke für den ‚Augen–Blick’ mit Dir, Gottes Sohn, Jesus Christus.
Amen.

Coypright Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe
Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem, Karlsruhe-Nordweststadt
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