Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 14. Dezember 2013

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig. (Jes. 40, 3+10)

Matthäus 11, 2 – 6


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

was wir bisweilen als „adventlich“ empfinden und was vielen von uns die Adventszeit so schön, so stimmungsvoll macht – Kerzen, Plätzchen, Tannengrün – das lässt uns manchmal vergessen, was die Adventszeit eigentlich meint: Sie bündelt nämlich gleichsam, was unser ganzes Leben ausmacht – nämlich, dass wir im Warten leben, dass wir auf etwas warten, was wir immer nur höchstens in Ansätzen erleben. Bewusst oder unbewusst: Wir warten darauf, dass wir begreifen, worin der Sinn unseres Lebens liegt, warum unser Leben gerade so und nicht anders verläuft, verlaufen ist. Wir warten darauf, dass sich irgendwie eine „Erfüllung“ ereignet, dass wir Ruhe finden, im Bild: dass wir nach Hause kommen.
„Mein Herz ist unruhig in mir, bis es Ruhe findet in dir“, so ähnlich hat es einmal der alte Kirchenvater Augustinus gesagt. Die Adventszeit bündelt solches Warten. Aber noch mehr: Die Adventszeit bündelt auch die Verheißungen. Sie lässt uns wissen und spüren: Unser Warten, unser Sehnen, unsere Sehnsüchte sind nicht vergeblich. Es wird der kommen, der all unser Sehnen aufnimmt und erfüllt. Deswegen der Wochenspruch: Bereitet dem HERRN den Weg; denn der kommt!

Wie aber sollen wir den erkennen? Wo ist er zu sehen? Vor dieser Frage stehen wir, standen Menschen zu allen Zeiten. Und sie wird sozusagen exemplarisch deutlich an Johannes, dem Täufer, der genau diese Fragen aus dem Gefängnis heraus formuliert.
Dabei hatte er selber ja auf das Kommen des Herrn hingewiesen, hatte die Menschen seiner Zeit zur Umkehr, zur Bereitung auf sein Kommen, aufgerufen, hatte – vielleicht kann man das so sagen – die „Adventszeit“ eingeläutet. Das hatte er weniger stimmungsvoll getan, als wir heute die Adventszeit begehen: Er hatte das Gericht gepredigt. Er konnte sich das Kommen dieses Herrn nicht anders vorstellen, als dass es mit dem letzten endgültigen Gericht über die Menschen verbunden wäre, wo sich dann herausstellen würde, wer zu Gott gehört und wer nicht. Königlich, gewaltig würde dieser Herr erscheinen. Er sollte ihm den Weg bereiten. Aber er wäre nicht würdig, ihm die Schuhriemen zu lösen. Und zum Bereiten des Weges gehörte wohl auch, was die Kirche immer noch gerne tut, andere Leute auf ihren unsittlichen Lebenswandel hinzuweisen – wie z.B. den König Herodes. Der dachte aber nicht daran, seinen Lebenswandel zu ändern, sondern, und das hatte sicher auch politische Gründe, er warf Johannes ins Gefängnis – wie das heute immer noch Despoten machen. Beispiele erleben wir Tag für Tag...

Ja, und nun hört Johannes von einem Mann namens Jesus, der Kranke heilt, sogar Tote aufweckt und im übrigen dasselbe predigt wie er, Johannes, nämlich dass das Himmelreich nahe herbei gekommen sei.
Johannes hört aus dem Gefängnis, dass die Leute in Scharen hinter Jesus herlaufen. Er hört davon – und sieht es nicht selber – so wie wir heute von Jesus hören – und es nicht wirklich selber sehen: Was damals die Freunde dem Johannes erzählen, das ist genau das, was uns erzählt wird und wurde – von Pfarrern und Lehrern, von Erziehern und von Eltern, all die schönen Geschichten aus den Evangelien:
Jesus hatte einen Leprakranken geheilt, so dass der vollkommen gesund und mit makelloser Haut dagestanden hat.
Er hatte einen Gelähmten geheilt, einen wieder auf die Beine gestellt, der sich vorher nicht auf den Beinen hatte halten können.
Zwei Blinde, einen Stummen hatte er wieder fähig gemacht zur Kommunikation mit dieser Welt.
Und die kleine Tochter des Jaïrus hatte er aus dem Tod ins Leben geholt, dem Vater die Zukunft wieder geschenkt.
War dieser Jesus „der Herr“?

Der bibelfeste Johannes kannte die Weissagungen des Jesaja sehr genau. Er wusste, dass die Zeichen, die Jesus tat, genau die Zeichen waren, an denen man den so heiß erwarteten Messias erkennen sollte. Jes 35: „Seid getrost. Seht, da ist euer Gott. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch...“ Und Jes 61: „Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, alle Trauernden zu trösten...“
Das passte ja alles genau. Und das war nun genau die Botschaft, die Jesus ihm durch seine Freunde ausrichten ließ.
Und doch meldeten sich Zweifel. Wo blieb das Gericht, die „Rache“ des heiligen Gottes an allen Frevlern? Die war doch auch verheißen! Und davon war bei Jesus nichts zu spüren. Er schien alle Leute gleich zu behandeln. Er strafte nicht, sondern er vergab, war barmherzig! Und irgendetwas Königliches hatte er anscheinend auch nicht an sich.
Es gab genug Leute – und es gibt sie bis heute –, die Jesus verlästern, sich über ihn lustig machen, oder, fast noch schlimmer, sich gar nicht um ihn kümmern. Sein Auftreten war und ist nicht so bezwingend, dass man sogleich vor ihm in die Knie sinkt. Und Wunderheiler gab’s zu Jesu Zeiten genug.
Die Zeichen waren nicht eindeutig, genauso wenig eindeutig, wie die Zeichen, die heute unsere Kirche, die Kirche Jesu Christi aussendet.
Und doch bleiben aus der Antwort Jesu an Johannes zwei kleine, fast unscheinbare Formulierungen in meinem Herzen hängen und wohl im Herzen des Johannes:

Hören und sehen sollen wir, was Jesus tut.
Dass Jesus das überhaupt sagt, scheint mir darauf hin zu deuten, dass solches Hören und Sehen nicht selbstverständlich ist! Wir erwarten unmissverständliche Töne, klare Anweisungen, auch in Fragen der Ethik. Wir erwarten klare Antworten auf unsere existenziellen Fragen. Wir erwarten „Machtworte“, die das Unrecht beim Namen nennt.
Und Jesus sagt: Hört und seht! Öffnet eure Augen und eure Ohren! Nehmt wahr, was heut geschieht!
Wenn einer dich bittend ansieht, dann schau nicht weg. Hab nicht soviel mit dir selbst zu tun, dass du gar nicht merkst, wie andere dich erwartungsvoll anschauen!
Und wenn einer dir tröstende Worte sagt, dann nimm sie wahr! Wende dich nicht resigniert weg mit einem „Mir kann doch keiner helfen“!
Und wenn im Elend der Welt irgendwo einer einem etwas zu essen und zu trinken gibt, sich einer einem einfühlsam zuwendet, da wehre nicht ab mit einem „Das ist doch bloß ein Tropfen auf den heißen Stein“!
Nimm die kleinen Zeichen der Nähe Jesu wahr, die oft untergehen in der Rauchentwicklung der großartigen Aktionen. Wir müssen schon hinhören, hinsehen, um die kleinen Zeichen der Liebe, der Vergebung, der Heilung, die guten tröstenden Worte des Friedens wahrzunehmen.

Und dann: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“
Es könnte ja sein, dass man es skandalös findet (das Wort steht da nämlich im Griechischen!), dass Jesus so unscheinbar auftritt, dass man sich an seiner Seite verraten und verkauft vorkommt, dass er einem zumutet, lieber mal klein beizugeben, als aufzutrumpfen und Machtfülle zu demonstrieren!
Es könnte ja sein, dass mich das ärgert, dass Jesus das Frommsein der Menschen so wenig honoriert und sich werbend gerade um die kümmert, die das nach meiner Ansicht eigentlich nicht verdient haben. Und von mir verlangt, dass ich ihm darin nachfolgen soll...

Selig ist, wer das begreift und annimmt, dass der Herr zu uns kommt – eben nicht, um zu richten im Sinne unserer Justiz und auszusortieren. Sondern dass er kommt, um den glimmenden Docht nicht auszulöschen, das geknickte Rohr nicht vollends zu zerbrechen; uns in der tiefsten Nacht seine Nähe spüren zu lassen, uns zu finden, wo wir uns verloren haben, uns seine Hand zu reichen, wo wir die unsere nach ihm ausstrecken.
Amen.

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