Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 12. April 2014

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. (Joh. 3, 14.15)

Johannes 12, 12 – 19


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

am Palmsonntag beginnt die Karwoche, unser Gedenken an Jesu Leiden und Sterben. Und diese Woche beginnt mit dem Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem, in die heilige Stadt, in der sich dann Gottes Heilsgeschichte ereignen wird. Liturgische Kenner wissen, dass die Geschichte vom Einzug in Jerusalem auch am Beginn der ganz anderen Bußzeit steht: Am Beginn der Adventszeit. Auch am 1. Advent ist das Sonntagsevangelium die Erzählung vom Einzug in Jerusalem, der Sonnntagspsalm der 24.: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“

Was haben der 1. Advent und Palmarum gemeinsam? Oder, was ist anders?
Es ist keine Äußerlichkeit, dass die Einzugsgeschichte in unterschiedlichen Fassungen gelesen wird: Am 1. Advent nach Matthäus und an Palmarum nach Johannes! Denn die beiden Fassungen unterscheiden sich deutlich: Matthäus erzählt, wie
Jesus seine Jünger aussendet, den Esel zu besorgen; was sie sagen sollen, wenn sie gefragt werden, was das soll; und wenn er dann auf dem Esel kommt, jubelt das Volk ihm zu – eine anschauliche kleine Episode.
Bei Johannes ist alles ganz anders. Das Volk kommt ihm schon vorher entgegen. Jesus „findet“ den Esel, und das einzig Wichtige daran ist, dass da etwas geschieht, was ein Prophet, nämlich Sacharja, so „geschrieben“ hat. Die Auferweckung des Lazarus wird erwähnt. Und feindselige Pharisäer stehen am Rande und beratschlagen nichts Gutes.
Über der ganzen Szene liegt etwas Bedrohliches, aber auch etwas Unwirkliches. Jesus erscheint ferngerückt, passiv; er handelt so gut wie gar nicht. Die anderen handeln! Die anderen verhalten sich zu Jesus. Und zwar ganz unterschiedlich – das Volk, die Pharisäer und die Jünger. Sie re-agieren auf Jesu Erscheinen. Sie versuchen zu verstehen, wer er ist. Und sie kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. So, wie wir zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wenn wir Jesus begegnen. Gerade das Johannes-Evangelium liegt uns, so will mir scheinen, besonders nahe – obwohl oder gerade weil es uns die Jesus-Geschichten nicht so konkret-anschaulich erzählt wie die Synoptiker. Sondern weil es uns Raum und Freiheit lässt, Jesus zu begegnen – in unserer Verschiedenheit; in der Verschiedenheit unserer Lebenslage; in der Verschiedenheit unseres Glaubens.
Ich möchte mit Ihnen darauf hören, wie in unserer Geschichte unterschiedliche Menschen Jesus in unterschiedlicher Weise begegnen.

1. Da ist zunächst „die große Menge“, das Volk. Sie hatten kurz zuvor miterlebt, wie Jesus den Lazarus, den Bruder von Maria und Martha, aus dem Grab geholt und ins Leben zurückgerufen hatte. Und nun, wie sie hören, dass Jesus kommt, „nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, was Johannes uns erzählt:
Die Menschen hatten erlebt, wie ein Toter ins Leben zurückgeholt wurde. Sie hatten erlebt, dass es Einen gibt, der stärker ist als der Tod. Sie hatten erlebt, dass Einer sich auf die Seite des Lebens stellt, dem Tod entgegen, und dass das Leben sich als stärker erweist.
Wir stehen heute gerade als Christen in der Gefahr, so etwas allzu leicht dahin zu sagen. Wir sind daran gewöhnt, in einem Atemzug von Tod und Auferstehung zu reden.
Vielleicht tut es uns gut, wenn wir uns einmal klarmachen: Hier wird die Ordnung dieser Welt auf den Kopf gestellt! Hier hatte es Einer geschafft, das selbstverständlichste und zugleich schrecklichste Gesetz dieser Welt – nämlich, dass gegen den Tod nun mal kein Kraut gewachsen ist – außer Kraft zu setzen!
Und das „Volk“, die „Menge“ reagiert darauf mit Glauben. Sie stellen sich entschlossen auf die Seite des Lebens. Sie begreifen – oder sie ahnen: Hier ist Gott selbst am Werk! Jesus kommt und handelt „im Namen des Herrn“, im Namen Gottes. Das ist ihr Glaube.
Und diesem Glauben geben sie Ausdruck mit einem im Grunde sehr überraschenden Verhalten, mit einer Symbolhandlung, die eine ganz bestimmte Bedeutung hat.
Sie nahmen Palmzweige und gingen ihm entgegen und riefen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn“ – soweit ist das ein Psalmzitat. Aber sie setzen noch hinzu: „der König von Israel!“
Und in der Tat: Sie „holen Jesus ein“, wie früher die Völker ihren König eingeholt haben, wenn er nach längerer Abwesenheit wieder in die Hauptstadt kam oder wenn er neu gekrönt sich dem Volk zeigte. Palmenzweige bedeuten Freude und feierliche Stimmung. Den König einzuholen, das ist ein Fest, bei dem die Menschen jubeln und glücklich sind. Eins der fröhlichsten Feste der Juden ist das Laubhüttenfest, bei dem Palmzweige verwendet werden. –
So also kann man Jesus begegnen: Voller Freude, voller Hoffnung, voller Liebe und Verehrung. So kann Glaube sich äußern.

2. Man kann aber auch ganz anders reagieren – und das dunkelt die Atmosphäre unserer Erzählung ein: Die Pharisäer und die Hohenpriester, die kirchlichen „Machthaber“, wenn man so will, fürchten, ihren Einfluß auf das Volk zu verlieren. Sie fürchten, die Druckmittel zu verlieren, mit denen man Menschen gefügig machen kann. Vielleicht fürchten sie ja auch ganz im Ernst, das Volk könnte verführt werden, auf Abwege geraten. Und dann wäre es besser, dass einer für alle stirbt, als dass alle verloren gehen.
So hatten sie bereits beschlossen, Jesus zu töten. Und in diesem Beschluß wurden sie nun bestärkt, als sie sehen mussten, wie die Menschen diesem Jesus königliche Ehren erwiesen und ihn feierten, als sei er der, von dem ihr Heil abhinge. „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Alle Welt läuft ihm nach.“ Also muss er verschwinden. Das ist ihr Fazit.
Sie stemmen sich gegen das Leben – und merken es nicht! Sie stehen auf der Seite des Todes – und merken nicht, dass sie sich damit auf die Verliererseite stellen!
Wie oft schon haben Machthaber versucht, Menschen von ihrem Glauben abzubringen! Es ist ein Kennzeichen totalitärer Staaten, dass ihre Herrscher dem Christentum feindlich gegenüberstehen. Denn Menschen, die sich festmachen an dem lebendigen Gott und die sich in ihrem Handeln ausrichten an der Liebe, die Jesus gelebt hat, die sind innerlich frei. Und die kann man nicht gut instrumentalisieren für politische oder kirchenpolitische Ziele, die sich mit der Liebe und mit dem Frieden nicht vertragen.
Aber solche Machtpolitik, die den Glauben unterdrücken will oder zu müssen glaubt, steht auf‘s Ende gesehen auf der Verliererseite, auf der Seite des Todes, den Jesus überwunden hat.

3. Aber nun ist da noch eine dritte Gruppe von Menschen. Sie ist ähnlich untätig und passiv wie Jesus selber. Sie jubelt nicht mit dem Volk, sondern scheint nur verwundert zu beobachten, was sich da abspielt. Aber sie steht auch nicht abseits, sei es feindselig, sei es sympathisierend. Sie sind einfach da, mit Jesus, offensichtlich selbstverständlich an seiner Seite – seine Jünger.
Zweierlei wird von ihnen gesagt: Zum einen, dass sie im Augenblick nicht begreifen, was da geschieht. Sie sind zwar, das wissen wir, die ständigen Begleiter Jesu. Sie kennen ihn und lernen von ihm. Und doch: „Das verstanden seine Jünger erst nicht...“, so sagt Johannes.
Ich brauche in meinem eigenen Leben und in der Gemeinde um mich herum gar nicht weit zu gehen, um darauf zu stoßen: Dass Menschen, ich und andere, zwar als treue Gemeindeglieder ein selbstverständliches Christsein leben, ihr Gewissen am Verhalten Jesu orientieren, womöglich den Katechismus auswendig können – und dennoch nicht wirklich „verstehen“.
Glaube geht eben nicht über den Verstand! Und eine Antwort auf unsere Frage, wer Jesus ist, was „Auferstehung“ bedeutet, die können wir uns nicht selber geben.
Erst später – und das ist das zweite, was von den Jüngern hier gesagt wird – dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Als Jesus „verherrlicht war“, so sagt Johannes, da dachten die Jünger daran.

Das Johannes-Evangelium ist mehr als ein Lebensalter nach den Ereignissen in Jerusalem aufgeschrieben worden, in der Zeit also einer jungen christlichen Gemeinde. Und diese junge christliche Gemeinde lebte, so wie wir immer noch, nicht etwa von der Erinnerung an etwas, das irgendwann einmal geschehen war. Sondern sie lebte vom Glauben an den lebendigen, gegenwärtigen Herrn. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die Ereignisse in Jerusalem, die Passion Jesu und seine lebendige Gegenwart in seiner Gemeinde, in Einklang standen mit der Botschaft ihrer Bibel, d.h. des AT. Was geschah, das „steht von ihm geschrieben“! Es ist derselbe Gott, den sie aus der „Schrift“ kannten – den wir aus der Schrift kennen, der ihnen und uns in Jesus begegnet. Und dieser Gott ist ein Gott des Lebens. Denn: Der Menschensohn muss(te) erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben!
Diesen Glauben werden wir feiern und uns hoffentlich darin bestärken in der nun beginnenden Woche.
Amen.

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