Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 10. Mai 2014

Pfarrer Wolfgang Scharf, Karlsruhe


Wochenspruch: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2. Kor. 5, 17)


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde!

Angekommen sind wir im Mai. Ob es Ihnen so wie mir geht: ich habe das Empfinden, dass die Zeit nicht nur eilt, sondern rast – oft genug an mir vorbei. Schon wieder Samstag. Der Anfang der neuen Woche in Reichweite. Und wie rasch werden wir wieder in der Mitte der neuen Woche angekommen sein!

An der Natur um uns herum sehen wir die Veränderung. Vor drei Monaten, da sah unsere Umgebung noch ganz anders aus. Ich meine hier nicht die baulichen Veränderungen vor der Haustür von Bethlehem. Vielmehr schaue ich darauf, wie die Natur in den letzten Wochen zu grünen und blühen angesetzt hat. „Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide ...“, so kennen wir es aus den vertrauten Worten des Paul Gerhardt Liedes ‚Geh aus mein Herz und suche Freud’.

Es grünt und blüht an allen Orten, zu unserer Freude, manchmal aber auch zur Not derer, die Allergiker sind. Doch dürfte die Freude über das Neue, das hervorbrechende Leben, das frische Leben deutlich überwiegen.

Das bekannte Frühlingslied – 1818 von Hermann Adam von Kamp verfasst – bringt diese Freude anschaulich zum Ausdruck:

Alles neu macht der Mai
macht die Seele frisch und frei.
Kommt heraus, lasst das Haus,
windet einen Strauß!
Rings erglänzet Sonnenschein,
duftend prangen Flur und Hain,
Vogelsang, Hörnerklang
tönt den Wald entlang.

Wir durchziehen Saaten grün!
Haine, die ergötzend blüh´n!
Waldespracht, neu gemacht
nach des Winters Nacht.
Dort im Schatten an dem Quell
rieselnd munter silberhell,
Klein und Groß ruht im Moos,
wie im weichen Schoß.

Hier und dort, fort und fort,
wo wir ziehen, Ort für Ort,
weit und breit, alles freut
sich der schönen Zeit.
Stimmet Jubellieder an!
Singe jeder wie er kann:
Alles neu, frisch und frei
macht der holde Mai.

Vielleicht kennen Sie dieses Gedicht nicht nur, sondern haben es in Ihrer Jugendzeit auch auswendig gelernt.

In der Predigtliteratur wird dieses Gedicht gerne zitiert, wenn über den Text aus dem 2. Korintherbrief, Kapitel 5, Vers 17 – unseren Wochenspruch – nachgedacht wird.

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor. 5, 17)

Das Bild der Natur liegt hier ganz nahe. Denn es geht in diesen Worten des Paulus um nicht weniger als um eine Neuschöpfung. Dieser Gedanke liegt dem Sonntag Jubilate, den wir morgen feiern, ganz nahe, finden wir doch als Lesung aus dem Alten Testament Abschnitte aus der Schöpfungsgeschichte. Christus macht Menschen neu. Der Mensch, der zu Christus gehört, ist wie neu geboren. Er ist zwar noch der Gleiche wie früher, aber jetzt ist für ihn alles ganz anders geworden. Sein altes Leben ist vorbei, seine Seele ist nun nicht mehr dunkel und erstarrt, sondern frisch und frei.

Paulus spricht dies ganz selbstverständlich aus, was keineswegs selbstverständlich ist und auch keineswegs so selbstverständlich zu verstehen ist. Die Zugehörigkeit zu Jesus Christus verändert nicht etwas am Menschen, sondern bringt aus Tod und Leben einen ganz neuen Menschen hervor. Wie dies geschieht, wodurch diese Neuschöpfung sich vollzieht, das lässt Paulus offen. Von einer Taufe oder vom Heiligen Geist ist im Umfeld dieses Textes nirgends die Rede. Es ist und bleibt ganz offensichtlich ein Geheimnis Gottes, ist unverfügbar für uns Menschen und bleibt Gnade, bleibt Geschenk Gottes an uns.

Die Neuschöpfung, die durch Jesus Christus geschehen ist, verändert unsere Sichtweise. Paulus beschreibt dies mit den Worten: „Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch.“ (2. Kor. 5, 16a) Bei dieser Sichtweise geht es darum, dass Menschen nicht mehr nach dem beurteilt und wahrgenommen werden, was äußerlich ist. Gottes Handeln schafft eine neue Wirklichkeit. Vor Gott sind die Unterschiede, die Menschen machen, nicht mehr das Entscheidende. Entscheidend ist, wie Gott uns sieht und wie Gott uns diese neue Wirklichkeit erkennen lässt.

Wie aber nehmen wir uns gegenseitig wahr? Wie wirkt die Sinnenwelt des Alltags auf uns? Sehr eindrücklich nimmt dies die in den letzten Jahren intensivierte Untersuchung der Milieutheorie in den Blick. In dieser Theorie wird ein Blick in die verschiedenen Milieus geworfen mit ihren ganz unterschiedlichen Ausprägungen der Sinnenwelt des Alltags.

Aus der Sicht eines Pfarrers bei Taufgesprächen in verschiedenen Häusern will ich dies anschaulich werden lassen.

„Wir haben einen Termin für ein Taufgespräch vereinbart, und wir kommen in eine Villa, werden in ein Wohnzimmer geführt, dessen Einrichtung den Wert des eigenen Jahresgehalts hat, soweit wir das überhaupt beurteilen können. Wir sind unwillkürlich eingeschüchtert oder auch ärgerlich: Darf man, muss man so viel Geld für sich ausgeben? Wir spüren, wir sind blockiert. Das ist nicht unsere Welt.

Wir kommen durch einen Flur, dessen Zustand nur eines signalisiert: Die ordnende Kraft ist offenbar überfordert. Wir betreten einen Allzweckraum, in dem vor allem eines auffällt: ein riesiger Flachbildschirm, der auch noch laut läuft. Die stillende Mutter fordert uns mit einer Handbewegung auf, doch »irgendwo« Platz zu nehmen, denkt aber gar nicht daran, den Fernseher leiser zu machen. Wir können uns nicht sprachlich artikulieren und fühlen uns hilflos. Soll man darum bitten, das Ding leiser zu machen, oder es gar selber tun? Aber wäre das nicht übergriffig?

Wir kommen in die gute Stube. Man hat uns erwartet und die Begegnung vorbereitet. Der »Herr Pfarrer« wird an einen gedeckten Tisch gebeten. Zwei Generationen sind vertreten, die noch jungen Eltern und die Großmutter, die schnell die Regie übernimmt. Von beiden »Parteien« kommen sehr unterschiedliche, auch widersprüchliche Signale. Wir merken rasch: Das wird schwierig. Wer hat hier das Sagen? Wie können wir in Ruhe mit den Eltern reden? Aber gehört die Oma nicht offenbar dazu? War sie es nicht, die mit uns Kontakt aufgenommen hat, damit ihr Enkel getauft wird?“

Es mag verwirrend sein, diesen so ganz unterschiedlichen Milieus und Situationen zu begegnen. Und es wird keinen unter uns überraschen, dass der besuchende Pfarrer durch seine Wahrnehmung und sein Erleben auch eine bestimmte Sicht einnimmt. Und umgekehrt haben auch die Besuchten gewiss nach dem Gespräch – und oft schon zuvor als Vorurteil – eine Sicht auf Kirche und Pfarrer.

Was machen diese Wahrnehmungen mit uns? Menschlich gesehen – im Fleisch würde Paulus sagen – bestimmt diese Sicht unser Verhalten dem anderen gegenüber. Sie können dies für sich einmal selbst durchbuchstabieren, wenn Sie sich gedanklich eine Begegnung mit einem Obdachlosen vorstellen, einem Menschen also wie Ihnen manche auf den Straßen unserer Stadt sitzend begegnen. In aller Regel besteht ein Fluchtimpuls oder zumindest wird ein inneres Abstandsgebot in uns spürbar.

Paulus wäre nicht Realist, wenn er nicht wüsste, dass wir auch nach Christi Kommen in diese Welt noch in dieser Welt leben. Aber er fordert etwa den Herren Philemon im Philemonbrief auf, seinen Sklaven Onesimus nicht allein durch die Sinnenwelt des Alltags wahrzunehmen. Diese Sinnenwelt lässt den Sklaven einen Sklaven und den Herrn einen Herrn sein. Die Wirklichkeit, die Sinnenwelt des Glaubens aber lässt den Herrn seinen Sklaven als einen geliebten Bruder erkennen. Und dies hat dann auch Folgen im Alltag. Auch wenn die sozialen Unterschiede damit nicht aufgehoben und beseitigt sind, werden sich beide – Philemon und Onesimus – anders begegnen – wenn sie denn von der Wirklichkeit des Glaubens verändert wurden.

Es bleibt die Erkenntnis, dass diese Wirklichkeit, den anderen Menschen aus der Sicht Gottes zu sehen, diese neue Sicht, diese Neuschöpfung, nur Gnade sein kann.

Und wie soll das dann gehen? So mögen Sie sich fragen? Hier gibt mir die Bibel aus dem Lesungstext eine Antwort: nur indem wir als Reben mit dem Weinstock Jesus Christus verbunden bleiben. Denn nur durch ihn – Jesus – erhalten wir die Kraft, Frucht zu bringen und neu zu werden.

Möge es uns beschieden sein, dass nicht der Mai – so schön die Jahreszeit auch ist – unsere Seelen frisch und frei macht, sondern Gottes Sohn Jesus Christus.
So mögen wir es erleben, dass dies auch in uns Wirklichkeit wird:

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte es vergangen, siehe, Neues ist geworden.“
Amen.

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