Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 24. Mai 2014

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet. (Ps. 66, 20)

Lukas 11, 1 – 4


Liebe Schwestern, liebe Gemeinde,

einer der Predigttexte zum Sonntag Rogate ist das Vaterunser. Allerdings in einer anderen Fassung, als der, die ich eben vorgelesen habe, nämlich aus dem Matthäus–Evangelium, genauer aus der Bergpredigt, deren Mitte das Gebet ist, „das die Welt umspannt“.
Mir ist es lieb zu wissen, dass das Vaterunser uns eben nicht nur in der Bergpredigt überliefert ist, im Zusammenhang mit Ermahnungen, wie man alles und auch das Beten „richtig“ macht.
Im Lukas–Evangelium steht es in einem bemerkenswert anderen Zusammenhang: Lukas berichtet uns, wie Jesus sich einmal zum Beten zurückgezogen hatte „an einen Ort“, d.h. in die Nähe Gottes, fort von den Menschen. Und als er wiederkommt aus dieser Zweisamkeit mit seinem himmlischen Vater, da bitten ihn seine Jünger: „Herr, lehre uns beten!“ So wie Jesus, so wollten sie auch beten können, in dieser tiefen Gemeinschaft mit Gott.

Ich denke, hier sind wir viel näher dran an unserer Befindlichkeit: Das möchten wir auch – diesen Draht zu Gott haben, in der Stille einen Ort der Gottesnähe finden, aus dem heraus wir dann gestärkt wieder hinaustreten können in die Anforderungen unseres Alltags.
Jesus hält nun auf die sehnsuchtsvolle Bitte der Jünger hin keine Vorlesung über das Gebet, kein Seminar, keine Fortbildung. Sondern er gibt den Jüngern, uns, ein sehr kurzes, sehr schlichtes Gebet an die Hand, an dem wir das Beten lernen und üben können. Die Lukas–Fassung des Vaterunsers ist noch viel kürzer als die Matthäus–Fassung!
Was ist am Vaterunser vorbildlich, besonders? Was ist das Erfolgsgeheimnis dieses Gebets, das immerhin seit 2000 Jahren in Benutzung ist, sich offensichtlich noch immer nicht abgenutzt hat, das noch heute überraschend viele Menschen, auch kirchenferne, können und kennen?
Mir sind beim Bedenken des Vaterunser drei Dinge aufgefallen, und zwar gerade in diesem lukanischen Zusammenhang:

Zum Einen die vertrauensvolle Nähe!
So wie Kinder mit ihrem Vater, mit ihrer Mutter reden, so redet Jesus mit seinem himmlischen Vater. Und in diese vertrauensvolle kindliche Nähe möchte er uns mit hineinziehen!
In der Anrede „Vater“ schwingt etwas mit von Liebe und Vertrauen, aber auch respektvolle Verehrung. Wir empfinden so etwas vielleicht da ähnlich, wo wir besondere Vater– oder Muttergestalten mit dieser Anrede belegen: Mutter Teresa z.B.; von „Vater Bodelschwingh“ wird in Bethel noch immer gesprochen im Blick auf jenen hartgeprüften, grundgütigen Mann, der ein Herz voll Liebe hatte zu den Schwachen in unserer Gesellschaft. In manchen Orden spricht man vom „Vater Abt“ oder der „Mutter Äbtissin“.
Es ist alles andere als selbstverständlich, ja, eigentlich geradezu aufregend, dass wir uns erdreisten dürfen, dass Jesus uns ermutigt, mit ihm zusammen Gott so vertraulich „Vater“ zu nennen – den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, der der Herr der Geschichte ist, der am Ende der Zeiten einmal „alles in allem sein“ wird.
Beten heißt also nicht, einem fernen Gott im Himmel Reverenz zu erweisen; eine Pflicht zu erfüllen, weil er es von uns so will. Sondern beten heißt, sich voller Vertrauen Gott zuzuwenden, sich in seinen Armen zu bergen – und zu wissen, dass es liebende, barmherzige Arme sind, in denen wir Trost und Stärkung erfahren, Ermutigung für unseren Alltag.
Wenn Jesus betete, dann musste er keine Schwelle überwinden. Das haben die Jünger gespürt – und wollten sich mit hineinnehmen lassen in diese unmittelbare Gesprächsbegegnung mit Gott.

Ein Zweites, was mir deutlich geworden ist, das ist die enge Verschränkung unseres Lebens mit dem Willen des Vaters.
Beten bedeutet, unser ganzes Leben von Gott her zu sehen und bestimmen zu lassen, unser ganzes Leben zu Gott hin zu öffnen, es im Lichte Gottes zu führen – ich sage gern: es „unter dem offenen Himmel“ zu leben!
„Dein Name werde geheiligt“ heißt ja eben dies: Seinem Namen soll Ehre widerfahren. Sein Name soll nicht hinabgezogen werden in unsere oft sehr selbstbezogenen Wünsche, die geprägt sind von unseren zeitgebundenen Denkvorgaben. Sondern er soll heilig bleiben, auch da, wo wir ihn aussprechen, wo wir ihn mit unserem Leben vertrauensvoll verknüpfen – damit dann auch wir „etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit“, wie es im Epheserbrief heißt.
„Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ bedeutet eben nicht Resignation („wir können ja eh nichts ändern“), sondern sie bedeutet das Vertrauen, dass uns und der Welt nichts Besseres geschehen kann, als dass in ihr und in unserem Leben sein Wille geschieht – an uns und auch durch uns. Nichts Geringeres wird hier erbeten, als dass der Himmel auf die Erde kommt, oder wenigstens, dass hier und da ein wenig Himmel sichtbar und spürbar werde – wo Worte des Trostes gefunden werden, wo Menschen einander Liebe und Versöhnung schenken.
Das Vaterunser verschränkt unser Leben mit Gottes Willen; es verschränkt Himmel und Erde.

Und schließlich ein Drittes: Das Vaterunser verknüpft unsere Gottesbeziehung mit der Beziehung zu unseren Mitmenschen.
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ – diese Bitte macht manchen Menschen Schwierigkeiten, weil sie glauben, dass hier eine uneinlösbare Bedingung formuliert wird: Wenn du nicht vergibst, dann wird dir auch nicht vergeben – und natürlich weiß ich, dass mir das Vergeben schwer fällt.
Ich glaube, es ist anders zu verstehen. Die Bitte zeigt, dass unser Verhältnis zu Gott und unser Verhältnis zum Mitmenschen zwei Seiten ein und derselben Medaille sind: Wo das eine „stimmt“, da stimmt auch das andere! Und wo das eine nicht stimmt, da stimmt auch das andere nicht – das ist einfach so! Wenn wir ehrlich in uns hineinhören und –fühlen, dann wissen wir das auch: Wo eine menschliche Beziehung, die uns am Herzen liegt, weil wir den betreffenden Menschen lieb haben, gestört ist, wo Vertrauen zerstört ist, da können wir uns auch im Gebet nicht wirklich Gott öffnen. Da funkt gleichsam die gestörte Beziehung störend hinein in unsere Gottesbeziehung – fast wie eine Störung beim Telefonieren oder beim Fernsehen, wenn irgendwo ein Gewitter ist.
Vielleicht ist es deswegen so wichtig, erst einmal, wenn wir beten wollen, zu einer inneren Ruhe zu kommen, sich „auf den Berg“ zu begeben, in die Gottesnähe – und dort zu spüren, was uns womöglich stört, was uns an dieser Nähe hindert... und IHM dann auch diese Störung hinzuhalten...

Kann uns heute also das Vaterunser dazu helfen, die Tiefendimension unseres Lebens wieder zu entdecken?
Sicher nicht automatisch, indem wir es einfach nur nachsprechen. Aber vielleicht erschließt sich uns das Gebet, wenn wir uns hineinmeditieren: Bei einem Satz, einer einzelnen Bitte verweilen; uns vorstellen, wie Jesus das gedacht, gemeint, empfunden hat, als er so mit Gott sprach; uns hineinfühlen in Jesu Denken und Meinen und Empfinden.
Dann könnte es sein, dass wir unserer eigenen tiefen Verwurzelung in Gott innewerden; dass wir wie Jesus aus der Nähe Gottes heraus leben; dass unser Leben und Sein Wille miteinander verschränkt sind; dass die Menschen an unserer Seite und unsere Beziehung zu ihnen mit hineingehören in unsere Gottesbeziehung.
So könnte, indem wir mit Jesus beten, in unserem Leben der Himmel geerdet und die Erde „gehimmelt“ werden.
Amen.

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