Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 11. Februar 2017

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. (Dan. 9, 18)

Matthäus 20, 1 – 16a


Wir liegen vor dir mit unserem Gebet...“ – liebe Schwestern und Brüder – halten wir einen Augenblick inne...
Was bedeutet das: Liegen!? Es bedeutet, wehrlos zu sein – nachts im Bett; wenn wir krank sind; wenn wir gefallen sind und nicht wieder hochkommen; auch im übertragenen Sinne: wenn wir gefallen sind über unsere Schwäche, unsere Ungeschicklichkeit, unsere Schuld, unser Schicksal – angewiesen sein auf die Hilfe anderer, auf die Freundlichkeit und Nachsicht anderer; in der Hoffnung, dass die unsere Schwäche, unser Darniederliegen nicht ausnutzen. Es hat auch etwas mit Scham zu tun.
Wir liegen vor dir, Gott, wehrlos, angewiesen auf Dich, ja, ausgeliefert.

Vor Gott liegen, das ist eine Gebetshaltung, die wir evangelischen Christen eher nicht kennen, nicht praktizieren, jedenfalls in der Regel nicht. Wenn es auch in besonderen Zeiten, im Verlaufe von Exerzitien z.B., dahin kommen kann, dass ich eben diese Gebetshaltung annehme, sie sich mir aufdrängt. In der katholischen Kirche ist es üblich, dass sich bei der Weihe von Diakonen, Priestern, Bischöfen, auch bei der ewigen Profess von Mönchen und Nonnen, die betreffenden Menschen niederwerfen, in der Tat als Zeichen der ganzen Hingabe, des Verzichts auf eigenes Zutun und auf eigenes Wollen. Wer schon einmal in einer katholischen Kirche an einer Karfreitagsliturgie teilgenommen hat (sehr zu empfehlen!), wird sich erinnern, dass am Anfang der amtierende Priester eben diese Gebetshaltung annimmt: Er wirft sich nieder vor dem Altar, vor Gott, und bleibt eine ganze Weile hingestreckt liegen.

Allein diese Haltung bringt zum Ausdruck, was dann gesagt wird: „Wir vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit“, wir verzichten auf alles, was wir selbst bringen könnten; wir liefern uns Dir, Gott, aus, auf Gedeih und Verderb sozusagen. Wir wissen und geben es zu und bringen es mit unserer Haltung zum Ausdruck, dass wir vor Dir nicht bestehen können. Wir können Dir nicht „auf Augenhöhe“ begegnen – wenn wir das auch gern täten.

Der Prophet Daniel schaut zurück auf die Geschichte der Untreue und des Abfalls seines Volkes, das, so wurde damals im 6. Jh. v.Chr. die Geschichte gedeutet, gestraft wurde mit dem Exil in Babylon, mit dem Verlust von Heimat, Stadt und Tempel. Nichts hatte das Volk mehr zu bieten, nichts als Reue über seine Undankbarkeit und verzweifelte Hoffnung auf unverdientes Erbarmen.
Und so wirft Daniel sich stellvertretend für sein Volk vor Gott nieder, vor dem großen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erden – und vertraut darauf, dass dieser große Ewige sich dennoch niederbeugt zu seinen Menschen: „Wir vertrauen auf deine große Barmherzigkeit!“ Nicht nur ausgeliefert sein, nicht nur anbeten, aus der Schwäche heraus, nicht nur bedingungslose Hingabe – sondern dies alles voller Vertrauen!

Vielleicht, liebe Schwestern und Brüder, ist dies Vertrauen überhaupt die Voraussetzung dafür, dass ein Mensch sich niederwerfen kann! Ich kann und mag in Gegenwart eines anderen meine Schwäche nur zeigen, wenn ich darauf vertrauen kann, dass er meine Schwäche nicht ausnutzt, dass er mich nicht noch runterdrückt, mich womöglich mit Gewalt am Aufstehen hindert. Ich brauche, wenn ich mein eigenes Unvermögen zugebe, das Vertrauen auf die liebevolle Zuwendung meines Gegenübers, auf die helfende Hand, die mich aufrichtet.

Und so ist die Gebetshaltung des Liegens vor Gott, der „Prostration“, eben doch mehr als ein Zeichen der Hingabe, der eigenen Schwäche, gar der Unterwürfigkeit. Sie ist auch ein Zeichen des unbedingten Vertrauens! Das ist wohl auch bei der Profess so, auch bei der Priesterweihe: Da vertraut sich einer Gott an, ohne Wenn und Aber!

Übrigens: Ein Rest dieses Liegens vor Gott ist das Knien, das uns vielleicht ein wenig näher und vertrauter ist. Es gibt noch das Knien beim Empfang des Heiligen Abendmahls, bei der Einsegnung, überhaupt beim Empfang des Segens, des Zuspruchs Gottes bei unterschiedlichen Gelegenheiten.
Da, wo wir einfach nur Empfangende sind, wo wir nichts leisten, geben und bieten können und wollen, da liegen oder knien wir vor Gott.

Wir gedenken ja im Augenblick ständig der Reformation und des großen Reformators Luther. Eigentlich ist unser Wochenspruch die Kurzfassung der lutherischen „Rechtfertigungslehre“: Wir können und sollen uns das Wohlwollen, die Gnade Gottes nicht verdienen mit irgendetwas, weder mit einem besonders „frommen“ Leben (je nachdem, was jeder von uns darunter verstehen mag), noch mit besonderen Leistungen etwa sozialer oder finanzieller Art („ich habe doch so viel gespendet“...).
Wir haben Gott tatsächlich nichts zu bieten. Im Gegenteil: Die Unvollkommenheit, das Fragmentarische unseres Lebens ist vor Gott alles andere als beeindruckend. Wir können nur staunen und danken, dass Er uns dennoch nicht fallen lässt, sondern uns in Christus ganz nahe kommt, uns berührt, uns aufhilft, uns in seiner Liebe birgt wie in einem Mutterschoß – das Wort steckt drin im hebräischen (und auch im griechischen) Wort für „Barmherzigkeit“! Und so können wir es vertrauensvoll wagen, vor Ihm zu liegen: Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Amen.

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