Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 7. Januar 2017

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. (Röm. 8, 14)

Matthäus 3, 13 – 17


Liebe Schwestern und Brüder, im Jahr 1597 brach in der Stadt Unna in Westfalen die Pest aus. Das war damals, als man noch gar nicht wusste, was im Rest der Welt, in Südasien, in Mittelamerika, in Afrika gleichzeitig etwa geschah, für eine mittelalterliche Stadt eine Katastrophe von durchaus apokalyptischen Ausmaßen. Ganze Familien wurden ausgelöscht; es gab kein Mittel, die Epidemie einzudämmen; dass die Hygiene eine Schlüsselrolle spielt bei so etwas, wusste man damals noch nicht.
Der evangelische Pfarrer der Stadt – er hieß Philipp Nicolai – hatte über Wochen und wahrscheinlich Monate Tag für Tag 20 bis 30 Leichen in Massengräbern zu beerdigen. Das war in einer Stadt mit damals vielleicht ein paar Tausend Einwohnern furchtbar viel.
Und es war damals wie heute: Die Menschen suchten Trost und hielten Ausschau nach Worten, nach Werten, an die man sich halten konnte, weil sie stärker sind als der Tod.
Dem Pfarrer, von dem solche Trostworte erwartet wurden und werden, ging es selber nicht anders.

Philipp Nicolai war ein streitbarer Theologe gewesen. Aber was sollte der Streit um die rechte Lehre angesichts der Pest? Nicolai besann sich auf das, was trägt: Die Verheißungen der Bibel, die alte unmittelbare, lebensvolle, christliche Frömmigkeit. Und er schrieb ein Trost– und Erbauungsbuch mit dem Titel „Freudenspiegel des ewigen Lebens“. „Freudenspiegel“ bedeutet: Dieses „herrliche Wesen im ewigen Leben“ soll wie mit einem Spiegel aufgefangen und in eine von Leid und Tod erfüllte Gegenwart hineingespiegelt werden.
Also nicht eine resignative Vertröstung auf ein besseres Jenseits, sondern ein Öffnen des Himmels, ein Aufscheinen–Lassen der ewigen Herrlichkeit  in diesem unserem dunklen Leben. Angesichts der unbeschreiblichen Not um ihn herum hatte sich der streitbare Theologe einer innigen, ja, mystischen Frömmigkeit geöffnet.
Im Anhang des „Freudenspiegels“ steht an erster Stelle „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Das Lied ist also eigentlich kein Epiphaniaslied, sondern, wenn man so will, ein Ewigkeitslied.

Nahezu jede Zeile des Liedes von Philipp Nicolai klingt an ein biblisches Bild an. Und wenn man weiß, dass es ihm um das Aufscheinen der Ewigkeit geht, wundert es nicht, dass viele Bilder dem Buch der Offenbarung des Johannes entnommen sind.
Schon der „Morgenstern“. Es ist eben nicht der Stern, der die Weisen zur Krippe geführt hat! Sondern es ist ein Bild für Jesus Christus selbst: „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen für die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern.“ (Offb. 22,16)
Da haben wir die Bilder der beiden ersten Liedzeilen, wobei die „Wurzel Jesse“ schon in der Offb. ein Zitat aus Jes. 11 ist. Das Bild vom König und vom Bräutigam hat Nicolai aus dem 45. Psalm übernommen, der überschrieben ist: „Lied zur Hochzeit des Königs“.
Wir wissen, dass das Bild von der Ehe seit alttestamentlichen Zeiten ein Bild für das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volk war und ist. Hier wird in der 2. Strophe Jesus mit dem König identifiziert, dem Bräutigam, nach dem sich die Braut sehnt. Die Strophen 2 und 3 und auch die folgenden klingen fast wie ein Liebeslied – und das sollen sie auch. Es ist die sehnsuchtsvolle Liebe der gläubigen Seele nach der himmlischen Vereinigung mit Jesus, dem „König und Bräutigam“.

Vielleicht ist uns diese Sprache und diese Bilderwelt fremd geworden. Es ist die Bilderwelt der Mystik, der es jenseits aller theologischen Lehre und Auseinandersetzung um die persönliche, liebevolle Beziehung zu Gott, zu Jesus, der uns zu Gott führt, geht. Im Grunde um das, was im 17. und 18. Jahrhundert das berechtigte Anliegen des Pietismus war. Wenn ich recht sehe, so ist auch heute das Suchen nach einem ganzheitlichen, Leib und Seele einbeziehenden Glauben, ganz stark bei vielen Menschen in der Kirche und an ihren Rändern vorhanden. Das „süße Evangelium“ ist hier sicher nicht die gottesdienstliche Predigt, über die man dann urteilt: Sie war gut oder sie war schwach. Sondern es ist die gute Botschaft unseres Glaubens mit aller Hoffnung, mit aller Freude, mit allem über unser kleines und manchmal so armseliges Leben Hinausweisenden. Dies ist lauter „Milch und Honig“, die Speise also, die dem Volk Gottes im gelobten Land verheißen ist. Aber dies ist auch schon – und hier spiegelt sich das Verheißene in unsere Wirklichkeit hinein! – „himmlisch Manna“, also die göttliche Speise auf der Wanderung durch die Wüste, das alte Bild für unser Wandern durch die Zeit und durch unser je persönliches Leben. In der 4. Strophe wird diese Wüstenspeise dann noch einmal deutlich auf die eucharistischen Gaben, die Elemente des Abendmahls, zugespitzt: „Dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut mich innerlich erquicken.“
Verheißenes und Gegenwärtiges werden nicht auseinandergerissen, sondern zusammengesehen. Die Liebe Gottes und die Sehnsucht des Menschen strömen gleichsam aufeinander zu und umfassen immer beides, Leib und Seele.

Wenn wir so die Bilder singen, die himmlische Liebeslyrik, dann wundern wir uns vielleicht nicht mehr über die Überschrift, die Philipp Nicolai seinem Lied vorangestellt hat: „Ein geistlich Brautlied der gläubigen Seelen, von Jesu Christo, ihrem himmlischen Bräutigam: Gestellt über den 45. Psalm des Propheten David“.
Der Text dieses Liedes hat eben wegen seiner erotischen Bilder im Lauf der Geschichte einiges durchgemacht. Spätere Jahrhunderte konnten mit soviel Gefühl nicht viel anfangen; und entsprechend sahen die damaligen Gesangbuchversionen aus, in denen die gesamte Brautmetaphorik fehlt, schon angefangen von der „süßen Wurzel Jesse“. Die Liebe wird nicht mehr erotisch, sondern moralisch aufgefasst. Ein kleines Beispiel: In Strophe 4 in den letzten beiden Zeilen heißt es bei Nicolai: „Nimm mich freundlich in dein Arme, dass ich warme werd von Gnaden; auf dein Wort komm ich geladen.“ Das Warmwerden in den Armen des Bräutigams Jesus erschien sogar noch unserem nicht eben zur Prüderie neigenden Jahrhundert zu anstößig und wurde ersetzt durch „und erbarme dich in Gnaden...“.
Eben diese Zeilen stehen übrigens im Zusammenhang mit dem Abendmahl, das hier also, auch gut biblisch, als himmlisches Hochzeitsmahl vorgestellt wird.
Warum können wir dies Lied singen, obwohl wir selber so kaum sprechen oder dichten würden?
Ich denke, es liegt daran, dass die z.T. sicher sehr gefühlvollen und gewagten Bilder vom Inhalt her streng biblisch–theologisch verortet sind. Nichts ist nicht gedeckt durch biblische Vorstellungen. Und es bleibt deutlich, von Zeile zu Zeile, dass die Bilder weit übertroffen werden von der gemeinten Sache selbst – Gottes neuer Welt. Und dass wir mit unserem noch so freudigem Loben und Preisen und Jubeln weit hinter dem zurückbleiben, was angesichts der ewigen Herrlichkeit, die im Evangelium in Wort und Sakrament hineinreicht in unser Leben, eigentlich angemessen wäre.
Amen.

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