Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 23. Juli 2016

Pfarrerin Annegret Lingenberg, Karlsruhe


Wochenspruch: Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. (Luk. 12, 48)

Matthäus 25, 14 – 30


Liebe Gemeinde, der Wochenspruch, der uns in dieser 9. Woche nach Trinitatis begleiten soll, lautet: Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Das ist eine Sprache, die wir nicht so mögen. Das Wörtchen „fordern“ vermeiden wir nach Möglichkeit, und wenn wir’s gebrauchen, dann doch gleich zusammen mit dem Wörtchen „fördern“, damit es ein wenig abmildernd unterfüttert wird. Aber irgendwie klingt das dann auch gleich wieder nach Hartz 4 oder nach Eingliederung von Asylanten – also kurz: Wir lassen das Wort lieber weg. Und für den Augenblick lassen wir’s auch tatsächlich mal beiseite.

Dann merken wir schnell, dass unser Wochenspruch zunächst einmal etwas zum Ausdruck bringt, was eigentlich selbstverständlich ist, bzw. was im christlichen Abendland zu einem fast selbstverständlichen Grundsatz unserer Ethik geworden ist. Ein bekanntes Sprichwort fasst es kurz zusammen: „Eigentum verpflichtet.“
Das ist zum Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft geworden: Reichtum an sich ist weder schlecht noch gut. Aber wo Reichtum ist, da besteht auch die Verantwortung, diesen Reichtum sinnvoll und sozial einzusetzen für die Menschen, die eben nicht reich sind.
Dasselbe gilt für intellektuelle Fähigkeiten und Begabungen: Sie sind nicht zum Verstecken da. Sondern sie werden gebraucht, und wir sollen sie zum Wohl der Menschen einsetzen und anwenden, für die wir Verantwortung tragen, in der Nähe und in der Ferne.

Vor einiger Zeit stieß ich durch Zufall auf eine alte Anweisung für Kantoren, und zwar solche im klösterlichen Bereich, die ihren Mitbrüdern (oder –schwestern) beibringen sollen, wie man Psalmen singt: Da heißt es  einmal: „Kantoren, die sich weigern, das ihnen von Gott Geschenkte weiter zu geben, sollen streng bestraft werden.“
Ähnliches könnte man vielleicht auch für Menschen formulieren, die die besondere Gabe haben, mit Kindern umzugehen, die besondere pädagogische Fähigkeiten haben: Die sollen diese Fähigkeiten dann auch anwenden, als Erzieherinnen, als Lehrer, möglicherweise als Pfarrer...

Also soweit ist das alles völlig einsichtig und selbstverständlich. Die Frage ist, warum eine solche Selbstverständlichkeit in der Bibel, im Evangelium steht. Geht es da vielleicht doch um mehr, als um eine wirtschaftliche oder sozialpolitische Maxime, um einen allgemeinen ethischen Grundsatz?

Das Sonntagsevangelium von den „anvertrauten Zentnern“ mag uns einen Hinweis geben: Da ist davon die Rede, dass der Herr, der im Gleichnis wohl für Gott steht, seinen „Knechten“, seinen Menschen, „sein Vermögen anvertraut“. Er gibt nicht allen gleich viel, sondern durchaus abgestuft, dem Einen mehr, dem Anderen weniger. Und ich möchte weiter spinnen: Dem Einen das Eine und dem Anderen das Andere.
Wenn mir jemand sein Vermögen oder einen Teil seines Vermögens anvertraut, dann ist das etwas sehr Schönes und Besonderes: Es zeigt, dass er Vertrauen zu mir hat. Es zeigt, dass er davon ausgeht, dass ich sorgsam damit umgehe, uneigennützig und verantwortungsbewusst. Dass ich das Vermögen des Herrn nicht dazu benutze, womöglich anderen zu schaden, sondern dass ich im Sinne des Herrn mit diesem Vermögen umgehe, es vielleicht mehre und zu etwas Gutem nutze.
Wir haben demnach etwas zum Gebrauch empfangen, mit dem wir treu umgehen sollen. Weil es uns nämlich nicht gehört!
- Wir haben Gaben, Begabungen empfangen, die wir in unserem Leben einsetzen sollen. Sie sind nicht unser Eigentum; wir haben sie uns nicht selber geschaffen. Man kann seine Intelligenz dazu gebrauchen, sinnvoll und klug Gutes zu tun. Man kann aber seine Intelligenz auch dazu benutzen, kriminelle Machenschaften auszuhecken.
- Wir haben unsere Lebenszeit empfangen. Sie gehört uns nicht. Aber solange wir sie haben, sollen und dürfen wir sie nutzen. Wie dankbar könnten wir jeden einzelnen Tag leben, wenn wir jeden einzelnen Tag wirklich als Geschenk aus Gottes Hand nehmen würden! Geschenkte Zeit, für mich und für die Menschen um mich herum! Viel zu schade zum Nörgeln, zum unleidlich sein!
– Wir haben die Menschen als Gaben empfangen, die unser Leben reich machen. Sie gehören uns nicht. Unser Ehepartner gehört uns nicht. Eines Tages, früher oder später, wird er von unserer Seite genommen werden. Wie gut, wenn wir uns in Liebe erinnern können; wie quälend, wenn nicht... Unsere Kinder gehören uns nicht. Sie sind uns anvertraut, damit wir sorgsam und liebevoll mit ihnen umgehen – solange wir sie haben dürfen. Eines Tages müssen wir sie loslassen, gehen sie ihre eigenen Wege. Gut, wenn wir die Zeit mit ihnen genutzt haben. Unsere Schwestern, unsere Mitbewohner, unsere Arbeitskollegen gehören uns nicht. Gott hat sie uns geschenkt, vielleicht auch zugemutet, als Aufgabe und als Reichtum. Gut, wenn wir sie als Gottesgabe sorgsam wertschätzen.

Was in unserem Wochenspruch auf den ersten Blick bedrohlich und fordernd klingen mag, ist eigentlich einfach eine Feststellung: Viele von uns wissen, wie man sich herumquälen kann mit Versäumnissen, mit Schuld oder Schuldgefühlen, berechtigten und unberechtigten. Die perfekten „Haushalter über Gottes Gaben“ sind wir ja alle nicht. Wir kennen das Glück der guten Erinnerungen, aber eben auch die Last der Versäumnisse.

Ich denke, das Wort aus dem Lukas–Evangelium will uns daran erinnern, dass der Reichtum unseres Lebens, der materielle, der geistige, vor allem aber auch der geistliche, das Evangelium von der Barmherzigkeit und von der vergebenden Liebe Gottes, wie sie uns in Christus begegnet – dass dieser Reichtum Geschenk ist, anvertraute Gabe, uns zur Verwaltung von Gott überlassen: Erfahrene Vergebung ist zum Weitergeben da! Empfangene Liebe und Barmherzigkeit ist zum Weitergeben da! Der empfangene Trost hilft uns, unsererseits zu trösten!
Dankbar möchte ich sein und voller Staunen und demütiger Freude über die mir anvertrauten Gaben – und dann aus dieser Fülle dankbar weiterschenken!
Amen.

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