Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 11. März 2007

Pfarrer Theo Freyer, Karlsruhe

Lukas 9, 57 – 62


Am Vorabend des Sonntags Oculi wollen wir miteinander über das altkirchliche Evangelium zu diesem Tag nachdenken, dem auch der Wochenspruch für Oculi entnommen ist:

„Als Jesus und seine Jünger auf dem Weg nach Jerusalem waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein anderer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm:
(Wochenspruch:) Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes."

Sind wir alle miteinander unterwegs auf dem Weg in der Nachfolge Jesu? Der eben gelesene Text trägt in unserer Lutherbibel die Überschrift: „Vom Ernst der Nachfolge“. Es scheint, wir werden zu einer Standortbestimmung aufgefordert, d.h. der Text fragt uns, – richtiger gesagt, durch diesen Text hindurch fragt uns Jesus selbst – wie es um unsere Nachfolgebereitschaft steht? Wo also kommen wir in diesem Text vor? Erkennen wir Ähnlichkeiten mit uns in einer dieser drei Personen?

(1) Ich male mir aus, wie dort, wo Jordantal und Jesreelebene aufeinander treffen, ein Galiläer mit strahlenden Augen auf Jesus zukommt und voller Begeisterung sagt: Ich will dir folgen, wohin du gehst! Und er erwartet, dass Jesus sich über dieses Angebot freut.
Jesus aber reagiert anders, nicht abwehrend, aber realistisch: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“
Das heißt so viel wie: Überlege es dir gut, ob du wirklich bereit bist, meinen Weg mitzugehen. Du könntest es unterwegs bereuen, dich meinem Jüngerkreis angeschlossen zu haben. Du wirst vieles von dem entbehren müssen, was dir das Leben bisher geboten hat. Wir haben nicht nur Freunde, sondern stoßen auch auf viel erbitterte Feindschaft. Mit mir unterwegs zu sein, kann schneller als gedacht lebensgefährlich werden. Wir sind eine Minderheit, und oft heißt es gegen den Strom zu schwimmen. Hast du wirklich den festen Willen, in meiner Nachfolge zu leben und durchzuhalten?
Lukas erzählt uns nicht, wie es mit diesem Mann weitergegangen ist. Konnte er aus ehrlicher Überzeugung sagen: Ja, Herr, ich habe lange darüber nachgedacht, ich will mit ganzem Herzen bei dir sein! Oder hat er sich enttäuscht von Jesus abgewendet? Oder – auch das wäre eine Möglichkeit – nahm er den Vorbehalt Jesu ernst und sagte: Gut, ich will es mir noch einmal gründlich überlegen?
Ich stelle mir vor, er ging nach Hause, erzählte seinen Eltern, was Jesus gesagt hatte, und sprach mit ihnen darüber. Wie mochten die Eltern wohl reagieren? Ob sie sagten: Siehst du, wir haben deinen Plan gleich für religiöse Schwärmerei gehalten. Komm wieder herunter auf den Boden der Tatsachen, bleibe, wo du hingehörst und gehe deiner beruflichen Arbeit nach.
Oder bestärkten sie ihren Sohn und ermutigten ihn in seinem Vorhaben, indem sie sagten: Einen leichten Weg hast du dir gewiss nicht ausgesucht; aber wir glauben, dass es der rechte Weg für dich ist. Folge Jesus nach. Wir werden für dich beten!

(2) Gehen wir weiter auf dem Weg nach Jerusalem und stellen uns vor, wie an der Grenze zwischen Samaria und Judäa ein ahnungsloser Mann Jesus und seinen Jüngern begegnete und von Jesus angesprochen wurde: Folge mir nach! Zunächst verschlug es ihm die Sprache. Dann aber fiel ihm sogleich ein, warum er diese Einladung mit guten Argumenten fürs erste ablehnen musste, und er sagte: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Es muss nicht unbedingt so gewesen sein, dass zuhause der tote Vater lag, der nach israelitischer Vorschrift noch vor Tagesende bestattet werden musste. Vielleicht war der Einwand des Mannes so gemeint: Herr, ich habe sehr alte Eltern. Ihre Tage sind gezählt. Sie brauchen meine tägliche Hilfe. Wenn sie gestorben sind, und ich sie bestattet habe, könnte ich mich dir dann ja anschließen.
Die Reaktion Jesu mag auf den ersten Blick herzlos erscheinen: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Was heißen könnte: Auf der Prioritätenliste im Leben des Menschen muss das Reich Gottes, das Leben in meiner Nachfolge ganz oben an erster Stelle stehen.
Auch von diesem Mann erzählt Lukas nicht, wie er sich weiter verhielt. Das Argument, mit dem er seine Entscheidung hinausgeschoben hatte, war ja einsichtig.
Nehmen wir an, auch dieser Mann ging nach Hause, um sich mit seinen Eltern zu besprechen. Die könnten über die Worte Jesu entsetzt gewesen sein und gesagt haben: Das war lieb von dir, dass du an uns gedacht hast und heimgekommen bist.
Vielleicht aber war es ganz anders, und sie sagten: Komm, lieber Sohn, empfange unseren elterlichen Segen, dann gehe zu dem, der dich gerufen hat, und den viele für den Messias Gottes halten. Wenn er es wirklich ist, und wir neigen dazu, es zu glauben, dann gibt es jetzt nichts Wichtigeres, als bei ihm und in seinem Dienst zu sein. Wir beide werden bald alt und lebenssatt sterben. Wenn du dann nicht erreichbar bist, werden uns die Verwandten und Nachbarn bestatten.

(3) Inzwischen mochte Jesus kurz vor Jericho angekommen sein, um nun den steilen Weg hinauf nach Jerusalem anzutreten. Da bot sich noch einer für die Nachfolge an: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind.“ Darunter verstand er wohl mehr als eine Anstandspflicht, mehr als nur Tschüs zu sagen. Ein zünftiges Abschiedsfest sollte gefeiert werden, bevor eine wohl anstrengendere Zeit beginnt. Von diesem Angebot schien Jesus nicht viel zu halten, denn er sagte: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Ob Jesus sich schon die Gespräche ausmalte, die bei diesem Abschiedsfest geführt werden können? Was würden die Verwandten, die Freunde und Freundinnen sagen, wenn ihnen ihr Gastgeber inmitten eines heiteren Festes eröffnet: Hört her, morgen schließe ich mich dem Jüngerkreis des Jesus von Nazareth an? Manche würden das für einen schlechten Witz halten. Andere würden ihn sofort bestürmen, diesen Plan schleunigst wieder fallen zu lassen. Sie würden ihm Gründe nennen, warum er für ein solches Wanderleben mit dem Rabbi nicht geschaffen sei, und wenn sie merkten, dass ihr Freund ins Schwanken kommt, würden sie zufrieden sein und das rundum gelungene Fest in guter Erinnerung behalten.
Den jungen Mann selbst befällt der Katzenjammer. Er muss sich erst wieder zu Recht finden. Bald denkt er, meine Freunde werden wohl Recht haben. Sie meinen es nur gut mit mir. Für eine Nachfolge Jesu bin ich wohl doch nicht geschaffen. Mein Lebensstil ist ein anderer. Und wenn er sich am anderen Morgen den Schlaf aus den Augen reibt, ist für ihn klar: Jesus hat recht gehabt: Ich bin nicht geschickt für das Reich Gottes. Gut, dass ich das noch rechtzeitig erkannt habe.

Haben Sie sich in einem dieser drei Männer und ihrem Umfeld selbst entdeckt? Wird Ihre Biographie von diesem Text irgendwo und irgendwie berührt? Ich habe mich selbst natürlich auch und längst nicht zum ersten Mal gefragt, wo mein Platz in diesen unterschiedlichen Begegnungen mit Jesus ist? Ich bin auch da und dort fündig geworden. Doch ich wünschte mir, der Text würde noch um eine weitere Begegnung mit Jesus weitergehen. Vielleicht so:

(4) Nach mühsamem Anstieg kamen Jesus und seine Jünger oben auf dem Gebirge Juda an. Sie standen oberhalb des Gartens Gethsemane und blickten hinüber auf die Stadt. Auf ihrem Weg hinab ins Kidrontal kam ihnen einer aus dem Kreis der Freunde Jesu entgegen. Jesus sah ihm an, dass ihn etwas bedrückte. Darum fragte er ihn: Mein Freund, was macht dir Kummer? Das Leben in meiner Nachfolge soll doch einen erlösten, befreiten und frohen Menschen aus dir machen.
Der aber antwortete: Ach Herr, ich bin’s nicht wert, in deiner Nachfolge zu stehen. Ich versage immer wieder. Mal bin ich zu feige und halte mich raus, wo ich mutig bekennen sollte. Ein anderes Mal bin ich zu bequem, wo ich tatkräftig handeln müsste. Ich werde das Opfer von Anfechtungen und darum schuldig an Gottes Geboten. Mein Glaube müsste stärker sein, wenn die Zweifel kommen. Du brauchst andere Leute als mich in deiner Nachfolge, glaubensstarke Persönlichkeiten, an denen sich die Mitmenschen orientieren können.
Da sagte Jesus zu ihm: Ich weiß um all deine Schwachheit, weiß, wo du versagt hast und schuldig geworden bist. Trotzdem halte ich fest an und zu dir. Ich liebe dich und ich bin bei dir auf deinem von mancherlei Anfechtungen umsäumten Weg in meiner Nachfolge. Und nun höre gut hin und halte fest, was ich dir sagen will: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Da atmete der niedergeschlagene Nachfolger auf. Ein Lächeln wich den Sorgenfalten auf seinem Gesicht, und er begleitete Jesus und seine Jünger auf ihrem Weg in die Stadt.
Ich möchte uns allen wünschen, dass wir uns in diesem begnadigten Nachfolger wieder erkennen.
Amen.

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