Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Predigten

Wochenschlussandacht am 20. März 2010

Pfarrer Theo Freyer, Karlsruhe


Wochenspruch: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele." (Matth. 20, 28 = Mark. 10, 45)

Markus 10, 35 – 45

Die Söhne des Zebedäus


Auf der Suche nach der Bedeutung, die dieser Text für uns haben könnte, stellt sich die Frage, ob es Gemeinsamkeiten zwischen den Jüngern Jakobus und Johannes und uns Christenmenschen  von heute gibt? Teilhaben am Reich Gottes wollen wir sicher alle; aber auf den Gedanken, um einen der Plätze links und rechts von Jesus zu bitten, wären wir doch wohl kaum gekommen.

Es beeindruckt auch die Bereitschaft der beiden, den schweren Leidensweg Jesu mitzugehen. Sie wollen sich die begehrten Ehrenplätze in Gottes Reich etwas kosten lassen. Zu wie viel Opfer bis hin zum Martyrium wir bereit und fähig wären, sei dahingestellt. (In Klammer gesagt: Ich habe mich schon manches Mal gefragt, wie viel Bekennermut und Leidensbereitschaft ich wohl im Dritten Reich oder in der DDR aufgebracht hätte?)

Sehr gut verstehe ich den Ärger der anderen Jünger. Da wollen die zwei dem übrigen Jüngerkreis zuvorkommen und die begehrten Plätze für sich reservieren lassen. Das sieht nach Strebertum und Einschmeicheln aus. Diese Typen wollte man schon in der Schule nicht zu Freunden haben.

Ob Jesus das auch so empfunden hat, erfahren wir nicht. Er ermahnt die beiden auch nicht zu mehr Brüderlichkeit, sondern nimmt ihren Wunsch ganz ernst; aber da muss manches klargestellt werden, und darum muss Jakobus und Johannes zweierlei bewusst sein:

Zum einen: Jesus und seine Jünger sind noch unterwegs, und dieser Weg will erst noch gegangen und bewältigt, – ja durchlitten sein. Es ist also nicht die Zeit, um auf dem Weg nach Jerusalem über das Ziel zu spekulieren.
Zum andern sagt Jesus: „Zu sitzen zu meiner Rechten und zu meiner Linken steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern welchen es bereitet ist.“

Und mit allem, was Jesus im Folgenden zum Thema Macht und Gewalt einerseits und Hingabe, Dienen und Knechtsein andererseits sagt, holt er seine Jünger aus ihren Zukunftsträumen heraus und stellt sie wieder auf den Boden der Tatsachen, um ihnen ihren Platz im Hier und Heute zu zeigen.

Wo trifft uns dieser Text? Kommt das Thema „Sitzordnung im Reich Gottes“ in unserem Denken auch in abgewandelter Form gar nicht vor? Ist uns wirklich grundsätzlich in unserem Denken und Verhalten bewusst, dass wir bei allem, was uns gelingen mag und was gut ist, von Gottes Schenken leben, – dass wir nichts verdienen können und auf nichts einen Anspruch haben?

Erinnern wir uns, wie Gott uns im Lauf unseres Lebens durch Menschen und Erfahrungen beschenkt und gesegnet hat. Da waren daheim, im Kindergarten, im Kindergottesdienst Menschen, die uns schon früh von Gott erzählt und den Grundstein für unseren heutigen Glauben gelegt haben. Ich werde immer dankbar an die Stunden zurückdenken, in denen meine Mutter mit mir die Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld betrachtete und die Geschichten des Alten und Neuen Testaments erzählte. So hatten viele oder die meisten unter uns von klein auf ihre ganz persönlichen Erlebnisse: Gespräche, Begegnungen, Gottesdienste, Aha–Erlebnisse mit der Bibel, die ihnen zu Glaubenshilfen wurden und dazu führten, dass sie als Christenmenschen leben wollen.

Nichts von alledem haben wir verdient. Es ist uns geschenkt worden, – um es mit Worten Luthers zu sagen: „ohn’ all Verdienst und Würdigkeit“. Es hätte alles ja auch ganz anders kommen können.

Manche von ihnen kennen vielleicht diesen Text von Marie Luise Kaschnitz. Sie schrieb: „Ich habe einmal einen Brief bekommen, der mir klar gemacht hat, was ich nicht war, nicht getan, nicht durchgemacht habe.
Ich bin nicht von einem betrunkenen Vater geschlagen und angebrüllt worden, ich habe nicht helfen müssen, den fetten schlaffen Leib einer Trinkerin ins Bett zu schaffen. Gehungert habe ich nur, wenn alle Leute gehungert haben, und bin nur in Lebensgefahr gewesen, wenn alle Leute in Lebensgefahr waren. Ich bin nicht zum Stehlen ausgeschickt worden, und niemand hat mich gezwungen, auf andere Menschen zu schießen… Ich bin nie wirklich gedemütigt worden.
Was hätte aus mir werden können mit einem Zentnergewicht auf den Schultern von Anfang an?! Was wäre aus mir geworden, welche Eigenschaften hätte ich entwickelt, welche wären nicht zum Ausdruck gekommen?
O die vielen Leben, die man hätte leben können, – diese vielen schrecklichen Leben!“

Was uns an Glaube, Hoffnung und Liebe im Lauf unseres Lebens möglich war, ist viel Grund zur Dankbarkeit für eine gnädige Führung und darf uns nie zu irgendwelchem Vergleichen mit anderen verführen oder gar zu dem Gedanken, wir hätten womöglich vor anderen einen Anspruch auf die Teilhabe an Gottes Reich. Das Gebet des Pharisäers im Tempel mit dem selbstgefälligen Tenor: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute…“ soll nicht über unsere Lippen kommen.

Hinter dieser Art des Betens steht der Irrtum, man könne sich seinen Platz im Reich Gottes verdienen. Ob wir davon wirklich ganz frei sind? Man kommt sich selbst zuweilen ja nur sehr schwer auf die Schliche.

Martin Luther hat einmal erzählt – vielleicht in einer Weihnachtspredigt: – „Es war ein frommer Mann, der wollte schon in diesem Leben in den Himmel kommen. Darum bemühte er sich ständig in den Werken der Frömmigkeit und Selbstverleugnung. So stieg er auf der Stufenleiter der Vollkommenheit immer höher empor, bis er eines Tages mit seinem Haupte in den Himmel ragte. Aber er war sehr enttäuscht: Der Himmel war dunkel, leer und kalt. Denn Gott lag auf Erden in einer Krippe.“

Und dort begann der Weg, den Jesus seinen Jüngern so beschrieb: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“

Nicht eine künftige Sitzordnung im Reich Gottes ist hier und heute das Thema, sondern die Einsatzorte der Christen in dieser Welt. Und da sind wir gefragt als Dienerinnen und Diener, als Knechte und Mägde – weit weg von allen Ehrenplätzen. Unterwegs mit Jesus erfahren wir eine Umkehrung der Werte: „Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener; und wer unter euch will der Erste sein, der sei aller Knecht.“

Wo unser Dienst als Knechte und Mägde nötig ist, wird von Person zu Person unterschiedlich sein. Sicherlich gibt es aber unverzichtbare Merkmale des Dienstes, die für uns alle Gültigkeit haben. Einige davon will ich nennen:

Wir können nicht inkognito Christen sein. Die Familie, die Verwandten, die Freunde und Bekannten, die Nachbarn und am Arbeitsplatz soll man wissen, dass wir an Jesus Christus glauben und in seiner Nachfolge leben wollen. Jede Generation steht in der Pflicht, Kindern und Kindeskindern die gute Nachricht von der Liebe Gottes weiterzusagen.

Ein zweites Merkmal: Glaube und Feigheit passen nicht zusammen. Zum Christsein gehört ein gerüttelt Maß an Zivilcourage. Dem Zeitgeist muss oft widersprochen werden. Dadurch kann man zum belächelten Außenseiter werden. Doch das gilt es auszuhalten. Lothar Zenetti, ein katholischer Theologe, hat das Mittragen des Kreuzes Christi einmal so beschrieben:

„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen, was keiner sagt, das sagt heraus,
was keiner denkt, das wagt zu denken, was keiner anfängt, das führt aus.

Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen, wenn keiner nein sagt, sagt doch nein,
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben, wenn alle mittun, steht allein.

Wo alle loben, habt Bedenken, wo alle spotten, spottet nicht,
wo alle geizen, wagt zu schenken, wo alles dunkel ist, macht Licht.“

Ein drittes Merkmal: Christen sind verantwortungsbewusste Zeitgenossen. Sie informieren sich, um zu wissen, was heute zu tun ist, sei es als Bürger einer Kommune oder des Staates oder als Glieder ihrer Gemeinde.

Und schließlich, – aber das muss ich eigentlich gar nicht sagen, weil es für Sie alle ganz selbstverständlich ist, – Christen sind betende Menschen. Das Gebet ist die Kraftquelle für unser Leben im Hier und Heute, und es ist zugleich der wichtigste Dienst, den wir für unsere Mitmenschen, für die nahen und fernen Nächsten, für die Welt, in der wir leben, tun können.

In alledem wollen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren, wollen hoffen und uns freuen auf Gottes Reich, doch in dem Wissen: wir sind noch unterwegs als Dienerinnen und Diener, als Knechte und Mägde unseres Herrn. Und von ihm gesegnet, sollen und dürfen wir an unserem Ort und in dieser Zeit für andere zum Segen werden.

Herr, segne uns, lass uns dir dankbar sein
lass uns dich loben, solang wir leben,
und mit den Gaben, die du uns gegeben,
wollen wir tätig sein.

Herr, geh mit uns und lass uns nicht allein,
lass uns dein Wort und dein Beispiel bewahren,
in der Gemeinde deine Kraft erfahren,
lass uns wie Brüder und Schwestern sein.

Herr, sende uns, lass uns dein Segen sein,
lass uns versuchen zu helfen, zu heilen
und unser Leben wie das Brot zu teilen,
lass uns ein Segen sein.

Amen.

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