Evangelisches Diakonissenhaus Bethlehem

Jahresfest-Predigten

Predigt zum 182. Jahresfest am 19. Oktober 2019

Pfarrerin Isolde Schäfter, Karlsruhe

2. Korinther 6, 1 – 2


Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus. Amen.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: Lasst die Gnade, die Gott euch schenkt, in eurem Leben nicht ohne Auswirkungen bleiben. Gott sagt ja: „Als es Zeit war, dir meine Gnade zu erweisen, da habe ich dich erhört, als der Tag der Rettung kam, habe ich dir geholfen“. Seht doch: jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils / der Rettung.

Liebe Jahresfestgemeinde,

„Jetzt!“, „jetzt ist die Zeit!“ Wie oft am Tag sagen Sie dieses kleine Wort? Und wie klingt dieses kleine Wort „jetzt“ in ihren Ohren?
Endlich – Das lange Warten hat ein Ende, jetzt ist der Geburtstag endlich da, so habe ich das bei meinen Töchtern oft erlebt.
Ermutigend – Auf! Macht euch auf den Weg! Jetzt!
Bedrängend – Jetzt ist die Zeit! Jetzt tut endlich was! Morgen ist es zu spät. Wie die jungen Leute von Fridays for Future zum Problem der Klimaerwärmung.
Wofür ist jetzt Zeit? Gut zwei Monate vor dem Ende des Jahres 2019.
Wofür ist jetzt Zeit – im Mutterhaus Bethlehem, in unserer Fachschule, in unserer Stadt, in unserer Kirche, in unserem Land und in der Welt?
Wofür ist jetzt Zeit in meiner Familie, für mich, für mein Leben?

Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils, so lautet die bekannte Übersetzung in der Lutherbibel.
Im griechischen Urtext steht allerdings nicht Zeit der Gnade, sondern es steht ein Wort, das mit angenehm, willkommen, günstig übersetzt wird. „Jetzt ist die willkommene Zeit, jetzt ist die Zeit der Rettung.“ Die günstige / willkommene Zeit ist jetzt da. Ich muss nicht länger warten auf bessere Zeiten, um ein erfülltes, sinnvolles Leben zu finden.
Dieses Jetzt nötigt mich dazu, die Vergangenheit – das was war, loszulassen und in der Gegenwart anzukommen. In diesem Jetzt komme ich dann an, wenn ich nicht länger über Vergangenes grüble, mich von Vergangenem festhalten lasse.
Dieses Jetzt nötigt mich dazu, auch das Verschieben und die Angst vor der Zukunft zu lassen. Jetzt ist unsere Zeit, jetzt ist meine Lebenszeit. Wenn ich wahrnehme, was hier und jetzt dran ist.

Für welches Tun ist hier und jetzt eine gute Gelegenheit.?
Paulus sagt: Jetzt ist die willkommene Zeit der Rettung. Mit diesem Jetzt geht es nicht nur um die Auseinandersetzungen in der Gemeinde in Korinth, mit diesem Jetzt geht es auch um unsere Gegenwart. Um die Frage: Wer und was bestimmt unser Leben – mein Leben?

Wenn wir auf unser Jetzt schauen, wo sehen wir darin eine willkommene Zeit, eine Zeit der Gnade, eine Zeit der Rettung und des Heils?
Die Alltagsnachrichten vom Einmarsch der türkischen Truppen in Syrien, von der drohenden Klimakatastrophe, von rechtsextremen Attentaten, von menschenfeindlichen Parolen, von seit Jahren sinkenden Mitgliederzahlen der Kirchen scheinen das Gegenteil von einer Gnadenzeit zu beweisen.
Wir spüren und wir kennen die Gefahr, dass sich Resignation, Ohnmacht und das Grau der alltäglichen Probleme über unser Jetzt legen.
Wie kann die willkommene Zeit, die Zeit der Gnade, in gnadenlosen Verhältnissen wirken? Wie kann die Zeit des Heils vollmächtig wirken, wenn Vieles dunkel ist?

Wie es uns mit diesen Fragen geht, so ging es auch Paulus mit den Korinthern. Sie sagten zu ihm: „Wenn Du ein guter Apostel bist, dann wollen wir mehr davon sehen, was für Wunder und Krafttaten du vollbringst. Ein guter Apostel kann mehr als Du. Die anderen, die zu uns kommen, beeindrucken uns mehr. Sie können besser reden. In ihnen sehen wir wirklich Gott am Werk, aber Du?
Paulus ist in Korinth sehr unter Druck. Es geht für ihn darum, auf wen in Korinth gehört wird – auf ihn oder auf seine Gegner.

Wie oft kommen auch wir unter Druck durch Erwartungen, die an uns gestellt werden, durch mangelnde Wertschätzung und Nichtbeachtung, durch eigene Ansprüche an die Arbeit, durch mangelnde oder schlechte Strukturen.
Und nicht nur ich stelle mir in solchen Lebensphasen die Frage: Wo ist die Gnade, von der Paulus spricht, wo ist Gottes Reich unter uns zu sehen? Wo ist für mich Rettung in Sicht?

Seht doch: jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils / der Rettung.
Die spannende Frage ist: Was wird anders, wenn ich meine Gegenwart aus diesem Blickwinkel des Heils und der Gegenwart Gottes betrachte?
In einem Brief Dietrich Bonhoeffers aus den Pfingsttagen 1944 ist mir das sehr deutlich geworden:
„Ich beobachte hier immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können; wenn Flieger kommen sind sie nur Angst, wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier, wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt, wenn etwas gelingt, sehen sie nichts anderes mehr. Demgegenüber stellt uns das Christentum in viele verschiedene Dimensionen des Lebens zur gleichen Zeit; wir beherbergen gewissermaßen Gott und die ganze Welt in uns… Man muss die Menschen aus dem einlinigen Denken herausreißen – gewissermaßen als Ermöglichung des Glaubens, obwohl es in Wahrheit erst der Glaube selbst ist, der das Leben in der Mehrdimensionalität ermöglicht.“

Diese mehrdimensionale Wahrnehmung des Lebens ist letztlich Geschenk – ist Gnade, ist Rettung. Es ist Geschenk, es ist Gnade, den Ton der Stimme Gottes in schwierigen und herausfordernden Zeiten des Lebens, in den Ohnmachtserfahrungen, nicht aus dem Ohr zu verlieren. Es ist das Geschenk der Gewissheit, dass in, zwischen oder hinter aller Wirklichkeit Gott präsent ist.
Wie ich ein Geschenk auspacken muss, um mich freuen zu können, so braucht es auch meine Entscheidung dafür, solcher heilsamen Gegenwart Gottes in mir Platz einzuräumen und diesen Raum zu pflegen.
Das heißt auch: mir Zeiten und Räume zu schaffen, wo ich still sein kann, wo ich im Jetzt ankommen und sein kann, wo ich Heil und Heilung empfangen kann.
Diese Erfahrung verändert, nimmt mir die Angst und lässt mich das Notwendige tun. Ich muss nicht alles können, aber ich kann jetzt etwas bewirken. Ich kann sagen: Ich will Dir helfen Gott, dass das Wort von der Versöhnung, von Gerechtigkeit sich herumspricht.
Ich kann in meinem Wirkungsradius etwas tun, dass sich die Welt zumindest an einer Stelle in Richtung von Gottes Reich verändert.
Ich kann das voller Hoffnung tun, was dran ist, weil ich Gottes Gnade und Kraft mehr vertraue als dem, was ich mit meinen Augen sehen kann!
Seht doch: jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit des Heils / der Rettung.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre uns in Christus Jesus. Amen.

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